/ Inspiration

Der politische Christ

Lukas Lukas

Die Welt versinkt in politischen Gehässigkeiten. Als Christen wissen wir, welche Seite die richtige ist – oder? Anstatt Wahlempfehlungen auszusprechen, appelliere ich an alle Christen, die Hauptsache nicht aus den Augen zu verlieren.

Als Donald Trump letzte Woche vor aller Welt zum 47. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt wurde, sagte Franklin Graham (Sohn des berühmten Evangelisten Billy Graham), der extra zum Beten gekommen war, zu ihm: «Herr Präsident, in den letzten vier Jahren gab es Zeiten, in denen Sie sicher dachten, dass es ziemlich dunkel war, aber sehen Sie, was Gott getan hat.» Dann betete er für ihn: «Als Donald Trumps Feinde dachten, er sei am Ende, hast du Herr und du allein ihm das Leben gerettet und ihn mit Kraft und Macht aufgerichtet.» Graham deutete damit eine Überzeugung an, die sich besonders seit dem versuchten Attentat auf Trump am 13. Juli 2024 verstärkt hat und auch in dessen Einführungsrede aufgegriffen wurde:

Er (Trump) sei der Auserwählte Gottes.

Diese Behauptung passt zu einer Sicht auf Politik, die sich schon länger in der amerikanischen Christenheit eingenistet hat: Trump und seine rechtsgerichteten Republikaner ständen für die Bewahrung der „christlichen Werte“, während die linksgerichteten Demokraten mit ihrer Haltung zu Abtreibungen, Geschlechterfragen, Asyl- und Aussenpolitik die Freiheit und „christliche Kultur zerstören“ würden. Auch in Europa wird dieses Verständnis von Links und Rechts immer populärer, besonders aktuelle Beispiele sind die AfD um Alice Weidel oder die FPÖ um Herbert Kickl. Linke Politiker wiederum sehen die rechten Parteien als rassistisch bis demokratiefeindlich, ohne Mitgefühl für Flüchtlinge, die Natur oder Minderheiten. Beide Seiten bezichtigen sich der Propaganda, also der bewussten Manipulation der öffentlichen Meinung, entweder durch die „Mainstream-Medien“ oder Social Media. Der gehässige Kulturkampf nimmt zu, beide politischen Lager hantieren mit immer extremeren Lösungsvorschlägen. Können, dürfen, sollen sich Christen auf eine politische Seite schlagen? Gibt es eine politische Seite, welche christlicher ist als die andere?

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(Ein) Erlöser

Christen sollten vor einem politischen Urteil verstehen, was in der Welt vor sich geht. Eine treffende Analyse formuliert der bald 90-jährige (atheistisch gesinnte) Peter Bichsel, Schweizer Schriftsteller mit internationaler Ausstrahlung in seinem Interview mit der NZZ am Sonntag:

«Ich glaube, es ist ein Irrtum, zu glauben, dass eine Mehrheit der Menschen sich nach nichts anderem sehnt als Demokratie. Die Menschen wünschen sich Prosperität und einen Erlöser, nicht die Demokratie.»

Christen kennen sich vielleicht nicht mit Politik aus, doch sie wissen um das Wesen und die Wichtigkeit eines Erlösers. Der Mensch erhofft sich von ihm Errettung, Sinn, Erfolg, Anerkennung, Trost und Sicherheit und ist im Gegenzug bereit, dem Erlöser sein ganzes Leben anzuvertrauen (sich mit dem Erlöser zu identifizieren). Was archaisch und primitiv klingt, ist gemäss Herr Bichsels Aussage nicht weniger modern: Der Mensch kann alles mögliche – sogar einen Politiker, eine politische Ideologie oder eine Partei – zu seinem rettenden Anker machen.

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Hier sollte der Christ seine Kritik ansetzen, die das politische 21. Jahrhundert so nötig hat: Alle (Selbst-)Erlösungsversuche tendieren dazu, den Menschen in seiner Ganzheit zu beschneiden, gefangen zu nehmen und zu betrügen. Wer sein Vertrauen auf eine politische Ideologie oder deren Vertreter setzt, wird früher oder später enttäuscht und läuft Gefahr, intolerant oder hörig zu sein, weil die eigene Identität mit den politischen Überzeugungen verknüpft ist. Das lässt sich nun auch in der gegenwärtigen politischen Landschaft erkennen: Entweder schaut man verachtend auf andere herab, oder verehrend an anderen hinauf – moderne Formen von Gott und Teufel. Beispiele dafür, wie weitreichend und verheerend solche Erlöserkonstruktionen sein können, finden sich im Nationalsozialismus oder Stalinismus.

Eine alte neue Perspektive

Vor diesen Geistern der Vergangenheit, die heute wieder aus ihren Gräbern zu springen scheinen, fürchtet sich die Gesellschaft. Doch der Demokratie nachzutrauern, wird daran nichts ändern. Demokratie ist nur eine Hülle, die mit Menschen gefüllt werden will, welche den Wert sehen, deren Spannungsfelder auszuhalten: Änderung vs. Bewahrung, Hilfe vs. Eigenverantwortung, Individuum vs. Gemeinwohl, etc.

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Christen vertrauen sich einem Erlöser an, mit dem sie auf diesen Spannungsfeldern balanciert können. Der Sohn Gottes, der kam, um zu sterben, um den Menschen mit seinem Schöpfer zu versöhnen. Der Blick auf Jesus macht den Christen einerseits barmherzig den Schutzbedürftigen, Flüchtlingen und Minderheiten gegenüber, andererseits ehrfürchtig vor Gott als Richter, seiner Schöpfung und deren Ordnung gegenüber. Die Aufgabe des Christen ist es, beide Perspektiven zu verteidigen - vor extremen linken und rechten Ansichten. Der amerikanische Pastor Timothey Keller beschreibt im Vorwort seines Buches „Warum Gott“ hoffnungsvoll eine neue Generation von Christen, welche dem klassischen Kulturkampf entgegensteht:

«Nachdem sie mit Zweifeln und Einwänden gegen das Christentum gekämpft haben, kommen viele von ihnen auf der anderen Seite mit einem fest gegründeten „orthodoxen“ Glauben heraus, der aber quer zu den gegenwärtigen politischen Kategorien (hier die „liberalen“ Demokraten, dort die „konservativen“ Republikaner) liegt. Viele erkennen, dass in dem „Kampf der Kulturen“ ja beide Seiten die individuelle Freiheit und das persönliche Glück höher stellen als Gott oder das Gemeinwohl. Der Individualismus der Liberalen verrät sich in ihren Positionen zur Abtreibung, Sex und der Ehe, der der Konservativen in ihrem tiefen Misstrauen gegenüber der öffentlichen Hand und ihrer Sicht vor Armut als selbstverschuldet. Das neue, rasant wachsende multiethnisch-„orthodoxe“ Christentum in den amerikanischen Großstädten engagiert sich viel mehr für die Armen und die soziale Gerechtigkeit, als die Republikaner es je getan haben, und viel mehr für klassische christliche Moral und Sexualethik, als die Demokraten es je getan haben.»

Echte Orientierung

Christen sollten sich nicht von der Hoffnung auf einen politischen Erlöser verführen lassen, sondern stets beide Seiten an den Kriterien von Jesus messen – Barmherzigkeit und Gottesfurcht. Nur so können sie echte Orientierung finden. Für Christen empfehle ich in politischen Diskussionen und Entscheidungsfindungen folgende Reflexionsfragen:

  1. Ist die politische Person, ihre Kommunikation und ihr politisches Programm geprägt von Barmherzigkeit gegenüber Armen, Verstossenen und Randgruppen? Wenn nein, beruht die Politik vermutlich auf einem Egoismus, der sich selbst auf die Schultern klopft.
  2. Ist die politische Person, ihre Kommunikation und ihr politisches Programm geprägt von Respekt vor Gott als Richter, seiner Schöpfung und göttlichen Ordnung? Wenn nein, beruht die Politik vermutlich auf einem Egoismus, der die Bedeutung von Moral und Wahrheit runterspielt.
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