Mittwoch Morgen Gebet. Gestartet vor einem Jahr und gut auf Kurs. Einmal mehr erlebe ich unfassbar Schönes. Ein Erlebnisbericht.
Aufstehn
04:30Uhr: Mein Wecker klingelt. Ich döse noch ein paar Minuten weiter. Leise verlasse ich kurz darauf das Schlafzimmer und tappe in die Küche. Unsere süditalienische Kaffeemaschine, Marke Faber, zwinkert mir schelmisch zu und fordert mich zum Einheizen auf. Ich kippe den mechanischen Schalter nach unten und schleiche ins Bad um mich frisch zu machen. Vorsorglich rasierte ich mich schon am Abend zuvor um Zeit zu sparen.
04:45Uhr: Zurück in der Küche signalisiert mir die Macchina ihr erhitztes Gemüt. »Zum Wachwerden brauchts was Intensives!« Denk ich und wähle den originalen Easy Serving Espresso Pad (E.S.E.) von Faber...
... aus 80% Arabica und 20% Robusta mit einer langen Röstung und einem leichten Säuregrad. Die Extraktion ist sanft und hebt ein ausgewogenes und intensives Aroma hervor.
04:55Uhr: Zeit zum Aufbrechen. Ich schnappe mir die mit iPad und Kopfhörer befüllte Stoff-Tasche, die ich vor zwei Jahren als Giveaway von der Practicing the Way Konferenz in Portland, USA, heimbrachte und schnappe mir unseren vollgeladenen eFiat500. Sitzheizung an und ab in den Kaleo-Saal.
Einrichten
05:05Uhr: Nach einer vorsichtigen Fahrt auf eisiger Strasse stelle das Auto ins Parkhaus. Angekommen beim Kaleo-Saal öffne ich als erstes beide Haupttüren, schalte das Licht und den Hauptstrom an und fahre alle Systeme hoch: Mischpult, PCs, Kamera-Fernsteuerung, Beamer und Ventilatoren um die Luft etwas umzuwälzen. Gute Hintergrundmusik darf nicht fehlen, ich wähle das »Bethel Peace Volume II« Album.
05:15Uhr: Heute ist Einführung eines Technikers. Nach seine Ankunft erkläre ihm kurz das Setting, das er zum Teil schon kennt und stelle das Video-System streamfertig ein.
05:20Uhr: Die Musikerinnen & Beterinnen kommen und machen einen kurzen Soundcheck. Auch die ersten Besucher nehmen ihre Plätze ein und warten auf den Beginn. Braucht die Bratsche noch ein anderes Mikrophon? Keine Zeit mehr zum Wechseln, denn gleich geht's los. Passt schon, geht auch so.
Ich setze mich ans Piano und justiere die Regler. Für den Start drücke ich einen Akkord und stelle den Klavierstuhl aufs Sustain-Pedal, damit ein konstanter, sanfter Klang den Raum erfüllt. Diese Notlösung erlaubt es mir, nochmals zur Regie zu gehen und einen geschmeidigen Start zu garantieren.
Los geht's
05:30Uhr: Kurz durchatmen... Los geht's! Ich stehe am Video-Desk und klicke bei YouTube auf Start. Der Livestream läuft, soweit alles stabil. Ich begebe mich wieder auf die Bühne und setze mich ans Nord Stage E-Piano, das mit seiner roten Farbe einen markanten Fixpunkt bietet, im sonst nüchtern eingerichteten Saal.
05:31Uhr: Kaum vorne angelangt realisiere ich, dass die Begrüssung der Gebetsleiterin soeben zu Ende ging und ich nun sofort spielen sollte... kurzer Stressmoment. Ich entscheide mich, das InEar vorerst wegzulassen und das erste Lied ohne Kopfhörer zu spielen. Vom Monitor der Bratschen-Spielerin höre ich das Klavier einigermassen gut, wenn auch suboptimal.
05:32Uhr: Ich spiele das Intro zu »Heilig für immer«. Der Raum füllt sich mit sanften Klängen und Gesängen. Jetzt heisst es, innerlich ganz ankommen und loslassen. Hoffentlich klappt alles bei der Technik. Wird schon. Ich liebe es, am Piano sitzen zu dürfen und einen Klangteppich zu kreieren. Mich auf den Moment einlassen, sanft aber bestimmt spielen und mich von Herz zu Herz mit allen im Raum verbinden. Nicht zuletzt mit Gottes Geist und seinen Engeln.
05:38Uhr: Der erste Gebetsblock beginnt. Kurz durchatmen und das InEar-Monitoring montieren. Mit den Kopfhörern fühl ich mich etwas wohler. Ich habe so die volle Kontrolle über die Facetten und Intensität meines Spiels.
Passende Arpeggios
05:41Uhr: »I allem souverän« lautet das nächste Lied. Im Zusammenspiel mit der Bratsche suche ich die passenden Arpeggios und intensiviere die Dynamik sanft aber bestimmt. »Gmeinsam mit de Himmelsheer, wemmer dich verehre, Herr. Herrlich wie kein andere, bisch du.«
05:47Uhr: Wir sind am Punkt angelangt, wo wir die gewohnten Pfade erstmals verlassen und improvisierte Parts spielen. Die Worshipleiterin interpretiert und paraphrasiert den Liedtext frei von der Leber.
05:49Uhr: »Der Himmel ist das Werk deiner Hand. Sie werden vergehen, aber du bleibst« liest die Gebetsleiterin aus Psalm 102,26f und startet den zweiten Gebetsblock. Ich lasse den Akkord liegen und halte den Pad-Sound nur noch mit dem Sustain-Pedal. Eine fokussierte Ruhe breitet sich aus im Raum, während die sie weitere Bibelworte betet. »Lasst uns unseren Blick auf Jesus richten, den Wegbereiter des Glaubens, der uns ans Ziel vorausgegangen ist.« Heb 12,2
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Neue Pfade
05:57Uhr: Als nächstes singen wir »Siegeskorn«, geschrieben von der australischen Worshipleiterin Darlene Zschech. Sie veröffentlichte es erstmals am 17. März 2013, drei Tage nachdem unser Sohn Benaya in der 33. Schwangerschaftswoche per Notfall-Kaiserschnitt zur Welt gebracht wurde, weil er eine Hirnblutung erlitten hatte. Wir hörten das Live-Album »Revealing Jesus« in Endlosschlaufe auf dem Weg hin und zurück zum Spital, wo unser Sohn fünf Wochen auf der Neonatologie stationiert war. »Du wirst immer für uns kämpfen, Engelschaaren überall...«
So singen wir es auch heute morgen, zusammen mit den Engeln in Gottes Gegenwart.
06:01Uhr: Mitten im Lied setzen wir wie gewohnt zur Bridge an. Doch plötzlich passiert etwas. Ich spiele die gewohnte Akkordfolge in einer ungewohnten Umkehrung und denke: Huch, was passiert hier?! Das klingt nach etwas Neuem, wie ein neuer Pfad der sich öffnet. Ich bin so perplex, dass ich die folgenden Akkorde in den Sand setze und mich anstrengen muss, wieder auf Kurs zu kommen.
Nicht zum ersten Mal erlebe ich einen solchen Moment. Wenn sich in der unsichtbaren Welt eine neue Türe öffnet, kann sich dies manchmal in einem neuen klanglichen Muster zeigen. Es stellt sich dann die Frage: Machen wir jetzt einfach Status Quo weiter? Oder biegen wir ab in eine noch unbekannte Richtung?
06:02Uhr: Die Entscheidung fällt ohne mein Zutun. Die Gebetsleiterin klinkt sich entschlossen ein und proklamiert aus Hebräer 12,2: »Lasst uns den Blick erheben zu Jesus. Er hat den Grundstein für unser Vertrauen gelegt und steht auch schon als Sieger an der Ziellinie. Er hat mit Blick auf die unübertreffliche Freude, die vor ihm liegt, den Kreuzestod auf sich genommen. Er hat die damit verbundene Schande nicht beachtet und sich so am Ende auf den Ehrenplatz zur rechten Seite des Thrones Gottes gesetzt.«
Blick auf Jesus
06:03Uhr: Ich repetiere das neu entdeckte Arpeggio, während die Worshipleiterin »Wir schauen auf dich, Jesus – wir erheben unser'n Blick und schauen auf den Sieger« singt. Wir bewegen uns wellenartig in einem neuen Flow und »lassen es einfach fliessen vom Himmel.« Musik ist die Welle, auf der die Anbetung reitet.
06:10Uhr: Das nächste Gebet wird gesprochen. Eine liebliche Ruhe erfüllt den Raum, klare Worte dringen durch die Lautsprecher. Glaubensvolle Proklamationen der Wahrheit, Hoffnung und Liebe. Jesus nachfolgen, im Rhythmus seiner Gnade.
Der Mittwoch-Gebets Rhythmus dauert nun schon ein Jahr an und es ist etwas geschehen in dieser Zeit. Eine Kultur entwickelt sich langsam aber stetig. In Gottes Gegenwart verweilen. Bei ihm sein. Darum geht's.
06:17Uhr: »Ich schaffe Raum für dich, tu was immer du willst Herr...«
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Tränen des Himmels
06:22Uhr: »Komm mit deiner Gnade in unser Leben...« lautet das Gebet. »Komm mit deinem Glauben in unser Leben, komm mit deiner Wahrheit in unser Leben. Wir wollen uns ganz öffnen für dich. Alles darfst du uns geben.«
Und wieder passiert es. Ich suche nach einer Begleitung, die das ausdrückt, was ich in meinem Inneren empfinde. Eine tragende Ruhe. Ein tiefes Fundament. Tiefe Töne. Dann gleitet meine rechte Hand zu den oberen Registern und ich treffe die Tasten so, dass zwei nebeneinanderliegende Töne fast gleichzeitig aber doch hörbar versetzt erklingen... wie ein Tropfen, der in einen tiefen Brunnen fällt und beim Aufprall auf die Wasseroberfläche einen hallendes Tropfgeräusch erklingen lässt.
»Die Kraft, der Glaube, die Hoffnung, alles wollen wir von dir empfangen! Die Liebe, die Schönheit...« betet die Beterin. Und es tropft weiter. Dieser andächtige Moment, wenn die Atmosphäre im Geist, die Worte des Gebets und die Musik sich vereinen und sich zu einem klaren Fokus vereinen: Von Gott empfangen, aus seiner unendlichen Fülle!
Es sind keine Sturzbäche. Keine Wassermassen. Es sind Tropfen, stetige Tropfen, die es in sich haben. Manchmal ist weniger mehr. Wie bei Augentropfen. Da brauchts keine Stauseen. Keine Hektoliter. Einfach nur reine Flüssigkeit. Kochsalzlösung, wie man im Volksmund sagt. Ein paar Tropfen genügen. Die Augen werden gespült und gereinigt. Die Entzündung schwellt ab. Das Brennen legt sich. Die Sicht ist wieder klar und deutlich.
Und wenn ich es mir so überlege: Tropfen können auch Tränen sein.
Wir verweilen bis zum Schluss in dieser Atmosphäre des Empfangens. Äusserlich sind wir bloss ein paar Menschen, die Gott suchen und sich dazu frühmorgens in einem Industriegebäude zum Gebet versammeln, vereint mit allen, die von zu Hause aus im Livestream dabei sind. Nichts Spezielles. Nichts Aufregendes. Doch in der »unsichtbaren Welt« verweilen wir staunend vor der unfassbaren Schönheit und Pracht unseres Meisters: Jesus Christus.
Es braucht kein Lied mehr. Es braucht nur noch eins: Präsent sein.
06:30Uhr: Die Gebetsleiterin beendet die Morgenstunde und verabschiedet die Teilnehmer. Die Zeit verging wie im Fluge. Wir tauschen uns noch aus, über das gemeinsam Erlebte.
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In die Kindheit zurückversetzt
Ich erzähle dem Team von meinem Erleben: Ich fühlte mich während dieser Stunde von einem Moment auf den anderen zurückversetzt in die ersten Klavierunterrichts-Lektionen.
Damals sass ich vor einer mir scheinbar unlösbaren Aufgabe. Auf dem Bild vor mir im Notenheft waren ein Meer, ein Strand mit Menschen, Möven und Wellen abgebildet. Auch ein aufziehendes Gewitter mit Blitz und Donner. Die Aufgabe bestand darin, das Bild musikalisch in Töne umzuwandeln. Innerlich blockiert und überfordert sass ich da, den Tränen nah. »Ich kann das nicht« sagte ich mit zittriger Stimme, »Ich weiss nicht, was ich spielen soll.« Bisher hatte ich nur nach Noten spielen gelernt. Doch wie in aller Welt soll ich ein Bild in Töne umwandeln?
Überaus einfühlsam half mir der Lehrer dabei, die Klänge der Möwen, das Grollen des Donners und andere Bild-Motive in Tastenkombinationen umzuwandeln. Und da entdeckte ich etwas: Die »Magie« der Klänge.
Später dann mit Vierzehn, lernte ich bei einer Jazz-Musikerin auf dem Klavier zu improvisieren und das Spielen nach Noten endgültig in die Wüste zu schicken. Von da an war es definitiv um mich geschehen. Musik wurde zur Sprache meines Herzens. Mit Musik kann ich ausdrücken, wozu mir die Worte fehlen.
All das wurde mir an diesem Morgen neu bewusst. Ich hielt innerlich Rückschau auf den Weg, auf dem mich Gott führte. Wie er mir einfühlsame Menschen zur Seite stellte, die mir halfen, meine musikalische Gabe in mir erkennen und diese zu entfalten.
06:35Uhr: Wir verabschieden uns. Ich bleibe aleine zurück und widme mich in den folgenden eineinhalb Stunden noch intensiv dem Weissabgleich unseres Livestreams, biege die Halterung einer in Schieflage geratenen Kamera wieder waagrecht und justiere ein paar Bühnenscheinwerfer.
08:00Uhr: Jetzt aber ab nach Hause für den zweiten Kaffee und rein in den Arbeitstag! Bis zum nächsten Mal, gemeinsam in Gottes Gegenwart.