Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht. Und weder Blüten noch Menschen blühen auf, nur weil sie dazu aufgefordert werden.
Appelle. Wie gut ich sie doch kenne. Nicht nur aus meiner äusserst umfassenden militärischen Karriere - nein, gerade seit ich Vater bin, haben sich die verzweifelten Versuche, meine (kleinen) Mitmenschen durch Appelle zu lenken, zu beruhigen oder zur Vernunft zu bringen drastisch vervielfacht. "Jetzt sei bitte mal kurz ruhig." "Komm mal runter." "Sei doch mal dankbar für das, was du hast." "Ach, sei doch nicht traurig." "Reiss dich zusammen." "SCHREI NICHT!" "Tu jetzt nicht so wild!" Und so weiter.
Die Wirkung? Eher bescheiden. Meist ist der Griff zum Appell eigentlich ein Ausdruck meiner Hilflosigkeit. Und selten hat ein Appell die zauberhafte Wirkung, die ich insgeheim von ihm erhoffe. Oder wie jemand es einmal treffend formulierte:
Noch nie in der Geschichte des sich-Beruhigens hat sich jemand aufgrund der Aufforderung "Jetzt beruhige dich mal!" auch wirklich beruhigt.
Und ja, ich bin ehrlich: Auch mir hat noch kaum jemals ein Appell, mich zu beherrschen, wirklich geholfen. Und trotzdem werfe ich immer wieder damit um mich - wohl, weil es einfach zu schön wäre, wenn es einmal wirklich funktionieren und sich eine anspruchsvolle Situation durch meinen Appell einfach lösen würde.
Was hilft denn stattdessen? Als Vater mache ich immer wieder die Erfahrung: Eine Einladung! Anstatt "komm mal runter", die Frage: "Was wühlt dich denn so auf?" Anstatt "sei mal dankbar", die Einladung: "Komm, wir überlegen gemeinsam, für was wir danken können." Und anstatt "sei doch nicht traurig", die Einladung: "Magst du erzählen?" Und anstatt: "Tu jetzt nicht so wild", vielleicht die Einladung: "Komm, wir kämpfen mal eine Runde, bis wir müde sind!" (Besonders die Jungs brauchen das immer wieder.) Ja, die Einladung kostet mich im Normalfall mehr als der Appell. Anstatt dem Empfänger die Bewältigung der Situation zu überlassen, werde ich Teil von ihr, involviere mich. Ich lasse mich auf die Erlebniswelt des Gegenübers ein. Ich nehme mir Zeit. Und - das ist wohl das Wichstigste - ich gebe meinem Kind Zeit, mit sich selbst und der Welt zurecht zu kommen. Dass das gar nicht immer so einfach ist, weiss ich ja aus eigener Erfahrung.
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Eingeladen
Wir träumen davon, dass Menschen aufblühen. So steht es prominent auf der Website unserer Kirche. Immer wieder frage ich mich: Wie sehr beruht unser - oder mein ganz persönlicher - Weg, diesen Traum zu verwirklichen, auf Appellen? Vielleicht nicht gerade ein plumpes: "Jetzt blüh' doch mal auf!". Doch wie oft ist mein Denken immer noch geprägt von all den "jetzt benimm dich mal", "lies mehr die Bibel", "du solltest mehr beten" und "du solltest dich freuen" und "streng dich mal an"-Appellen? Mit der mehr oder weniger bewussten Annahme dahinter: "Wenn wir nur genug an uns selbst und an die Menschen appellieren, ein gutes christliches Leben zu führen, wird das Aufblühen dann schon irgendwann kommen." Quasi als Nebeneffekt. Ja, es wäre eigentlich ziemlich einfach, so Kirche zu bauen. Aber wahrscheinlich nicht sehr effektiv.
Der Einladungs-Weg ist da schon viel anspruchsvoller. Braucht Zeit, braucht Aufmerksamkeit und ein echtes sich-Einlassen auf die Menschen. Ja, diese Art und Weise, Kirche, Beziehungen und Leben zu bauen, kostet uns etwas. Aber ich glaube zutiefst, dass dieser Weg der Einladung der Weg ist, den Jesus uns vorgelebt und vorgegeben hat. Denn ein ultimativeres "sich auf das Gegenüber einlassen und Teil der Situation werden" als das Kommen des Schöpfergottes in der Person von Jesus - das Ereignis, das wir in wenigen Wochen als "Weihnachten" feiern werden - kann ich mir eigentlich gar nicht vorstellen. Kein "Jetzt gib dir mal Mühe" vom Himmel herab. Sondern ein zugewandtes: "Ich komme." Ein "Ich bin bei dir" und ein "Ich nehme dich mit auf meinem Weg.". Gegipfelt in der unvergleichlichen Einladung in Matthäus 28,11:
Bist du müde? Ausgelaugt? Ausgebrannt durch Religion? Komm zu mir. Lass uns zusammen von hier verschwinden und du wirst dein Leben zurückgewinnen. Ich zeige dir, wie man richtig zur Ruhe kommt. Folge mir und arbeite mit mir – lerne von mir, wie ich es mache. Erlerne die ungezwungenen Rhythmen der Gnade. Ich werde dir nichts Schweres oder Unpassendes auferlegen. Leiste mir Gesellschaft und du wirst lernen, wie man frei und leicht lebt.
Matthäus 11,28, "The Message", übersetzt von Emanuel Hunziker
Erst kürzlich ging mir auf, dass diese Einladung von Jesus zweifältig ist:
Erstens, die offensichtliche Bedeutung: Du und ich sind eingeladen, zu Jesus zu kommen, bei Ihm zu sein, von Ihm zu lernen. So weit, so gut. Das ist die Basis für ein aufblühendes Leben.
Zweitens glaube ich aber auch, dass wir eingeladen sind, es Jesus gleichzutun! Menschen einzuladen zu uns zu kommen, mit uns zu sein, von uns zu lernen. Und ihnen dadurch den Weg zu Jesus zu öffnen. Denn die allermeisten Menschen vertrauen zuerst einem anderen Menschen, bevor sie sich für das Vertrauen zu Gott öffnen können. Die Einladung von Jesus in Matthäus 28,11 ist also auch eine Einladung, Jüngerschaft zu leben und Kirche zu bauen.
Ob du der Einladung folgst, ist deine Entscheidung. Gerade der zweite Aspekt davon klingt "risky" und kostet dich etwas. Aber was, wenn genau darin auch der Weg zu deinem persönlichen Aufblühen läge?