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Abenteuer Gebet

Josua Hunziker Josua Hunziker

Gebet ist weder Monolog ins Nichts noch Ritual des positiven Denkens. Sondern immer wieder ein unberechenbares Abenteuer.

Kürzlich war ich einmal wieder dran mit der Leitung unseres Morgengebets in Tägerwilen. Als nicht gerade passionierter Frühaufsteher ist es für mich jedes Mal ein Akt des prophetischen Protests gegen meine eigene Bequemlichkeit, um 4:45 Uhr aufzustehen und mich ready zu machen. Doch noch viel mehr als die frühe Tagwache nagt an mir jedes Mal die Frage "Was, wenn diese Stunde ein einziger, mühsamer Kampf wird? Was, wenn mir der Gebets-Inhalt ausgeht? Oder ich mich sonst irgendwo im Nirgendwo verirre?" Oft gehe ich nur mit einem vagen Eindruck, einem kurzen Bibeltext und zwei, drei dazu passenden Songs "bewaffnet" in diese Stunde. Und eigentlich immer habe ich das Gefühl, nicht genug fit und schon gar nicht genug gut vorbereitet zu sein.

Auch letzte Woche ging es mir wieder so. Die drei kurzen Bibeltexte hatte ich - einem spontanen Impuls folgend - am Abend vorher noch eher eilig herausgesucht, dazu noch einige Lieder die thematisch mit "Wasser" zu tun hatten (es ging in den Texten um das lebendige Wasser des Geistes). Ziemlich kaputt fiel ich danach ins Bett, schlief eher unruhig und wurde vom Wecker viel zu früh wieder aus dem Schlummer gerissen. Ich fühlte mich leer und vor allem müde, als ich mich eine halbe Stunde später noch ziemlich verschlafen ans Klavier setzte.

Doch dann - einmal mehr - geschah während der Gebetsstunde das, was bisher immer geschehen war: Nach dem Start mit einem der Songs und der ersten Lesung des Textes entglitt mir die Kontrolle. Im positiven Sinn. Die Bibeltexte beginnen in meinem Mund zu leben, ich beginne sie prophetisch zu beten, die Texte der Songs fügen sich plötzlich passend und eng in die Bilder ein und unterstützen den Fluss des Geistes, der unmittelbar aus mir herausbricht. Ich spüre, wie ich nur noch dem Weg folgen muss, den der Geist längst - und ohne mein Wissen - vorgebahnt hat. Plötzlich bin ich ob eines intensiven inneren Bildes zu Tränen gerührt. Und spüre dann wieder tiefe Ruhe, als die Intensität des geistgewirkten Fürbitte-Feuers wieder abnimmt. Einmal mehr erlebte ich Gebet als ein Abenteuer - kein Monolog an einen unsichtbaren Gott irgendwo da draussen. Nein, eine Einladung, der ich folgen darf. Ein Einblick in die himmlische Welt, den ich erhaschen darf. Als mir dann Stunden später jemand noch schreibt, dass sie tags zuvor im Gebet vom Geist in eine ganz ähnliche Richtung geleitet wurde, war mir einmal mehr klar: Gebet ist nicht etwas, das ich bringe. Es ist oft viel mehr etwas, das ich empfange!

Imagine
Photo by Debby Hudson / Unsplash

Unerwartete Alternativen

Strahan Coleman schreibt in seinem Gebetsbüchlein Prayer Vol. 03:

Gebet ist der Akt, sich Alternativen auszumalen

Dieser Satz hat mich zuerst sehr irritiert - zumal das Wort "Alternativen" seit der Redewendung der "Alternative Facts" doch schon fast einen zwielichtigen Touch hat. Aus den Erläuterungen wird aber klarer, was Coleman damit meint:

Jeder noch so kleine Akt des Gebets ist radikaler Glaube. Er tut der Realität des Todes Gewalt an, indem er das Königreich des Lebens direkt ins Zentrum stellt und damit die Unmöglichkeit zu Nichte macht. Ohne Gebet schrumpft unsere Vorstellungskraft und das Evangelium wird zu einem blossen sozialen Mechanismus oder einem Lifestyle-Zusatz. Ein betendes Volk hingegen ist ein unaufhaltbares Volk. Es bewegt sich auf unerwartete Art und Weise an unerwartete Orte und stellt dabei die Welt auf den Kopf. Übersetzung durch den Autor

Auch hier: Gebet als Abenteuer. Als radikaler Glaube, ein Hinwegschauen von dem was ich bringen oder bewirken kann auf die Möglichkeiten des allmächtigen Gottes. Das Ausmalen der Alternativen im Gebet ist eben kein Akt in dem ich mal nachdenke was ich mir alles vorstellen kann, sondern ein "mich-öffnen" für die Realitäten und Wege des Gottes, der Mensch geworden, von den Toten auferstanden und uns ins Himmelreich vorangegangen ist. Gebet in diesem Sinne nimmt mich aus meiner Bubble heraus, weitet meinen Blick. Gibt mir Hoffnung. Und öffnet Türen um in heiligem, prophetischen Protest mitten in der oft zynischen, tödlichen Realität dieser Welt diese Hoffnung zu verbreiten.

Auch das nächste Mal werde ich mich für das Morgengebet wohl nicht ausführlicher vorbereiten. Ich glaube, ich ginge zu verkopft hinein. Viel mehr will ich mich bewusst öffnen für die wunderbaren, himmlischen Alternativen, die Gott bereithält und mit uns teilen will, wenn wir in diesem kleinen, unscheinbaren Akt des Gebets unseren ganzen Blick und Fokus auf ihn richten.

Bereit für das Abenteuer?


Das Morgengebet findet fast jede Woche von 5:30 - 6:30 Uhr in der Kaleo Kirche Tägerwilen statt. Immer wieder eine wunderbare Gelegenheit, sich auf das Abenteuer Gebet einzulassen. Die Daten finden sich auf der Website der Kaleo Kirche.

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