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Ich protestiere!

Josua Hunziker Josua Hunziker

Wie in einem konfliktscheuen Harmonie-Typen der Hunger nach hoffnungsvollem Protest gewachsen ist.

Ich bin in einer eher harmonisch geprägten Familienkultur aufgewachsen. Meine Eltern stritten sich kaum und schon gar nicht vor den Augen von uns Kindern. Mir wurde Respekt und Dankbarkeit beigebracht - Werte, die ich noch heute hochhalte und meinen Kindern weiter vermittle. Ich hatte nie eine ausgeprägte "Ausbruchs-Phase" im Teenager-Alter und bin ziemlich gut darin, mich den Umständen anzupassen. Man könnte es in der Kehrseite auch Konfliktscheue nennen. Das Konzept von "Protest" hatte für mich lange eine einseitig negative Note. Protestieren, das ist etwas für die Wütenden, die Rebellen, die Aufmüpfigen, die Unangepassten und die Querschläger. Nichts für mich, also.

Völlig unerwartet bin ich jedoch kürzlich auf eine Betrachtungsweise eines grund-christlichen Wertes gestossen, die meine gut gemeinte Protest-Abstinenz ernsthaft in Frage stellt. Konkret ging es um Hoffnung - eine Tugend, die ich bisher niemals mit Dingen wie Protest oder Rebellion in Verbindung gebracht hatte. Strahan Coleman beschreibt Hoffnung in einer Meditation wie folgt:

Hoffnung ist Bewegung, eine Weigerung still zu halten wenn Dunkelheit uns betäuben will, ein Schreiten in leere Orte, um sie mit Gott zu füllen. [...] Die Hoffnung widersetzt sich dem, was die Welt uns sagt. Sie ist ein prophetischer Protest gegen die Annahmen der „Gesetze“ unserer Zeit. Hoffnung bedeutet, in einer Weise zu handeln, die manchmal im Gegensatz zu unseren Umständen steht, und eine andere Möglichkeit zuzulassen. Strahan Coleman, Prayer Vol. 03 - Übersetzung durch den Autor

BÄM!💥Diese Sätze stellen mein ganzes bisheriges Konzept von Hoffnung auf den Kopf. Hoffnung war für mich immer eher etwas Passives; eigentlich ein aus Glauben basierendes Abwarten auf Gottes Wirken. Coleman sagt hingegen: Hoffnung ist Aktion! Hoffnung ist Bewegung! Hoffnung ist Protest! Protest dagegen, dass die uns umgebende Realität die ganze Wahrheit ist. Protest dagegen, dass wir uns mit den Möglichkeiten und Perspektiven unserer Gesellschaft zufrieden geben. Protest dagegen, Sinn und Zweck jeder Handlung an Nutzen und Effizienz zu messen. Oder anders gesagt: Nicht nur ein passives Abwarten, sondern ein aktives, vorwärts gerichtetes Rechnen mit Gottes Eingreifen im Hier und Jetzt. Einem Hereinbrechen der himmlischen Realität in mein alltägliches Leben.

Power (IG: @clay.banks)
Photo by Clay Banks / Unsplash

Diese Betrachtungsweise verfolgt mich nun schon seit Wochen. Ich frage mich, ob ich bislang wirklich ein hoffnungsvolles Leben geführt habe. Denn wenn ich Coleman weiterdenke, komme ich zu folgendem Schluss: In Hoffnung zu leben bedeutet, nicht nur im Prinzip an die Möglichkeit von Gottes Wirken zu glauben, sondern meine Tage und alltäglichen Situationen in der Erwartung zu leben, dass Gott vielleicht genau hier hineinwirken und durch mein Leben den Himmel mit der Erde in Berührung bringen möchte. In Hoffnung zu leben bedeutet, mir vom Geist Gottes eine prophetische Schau geben zu lassen, die über das natürlich Sichtbare hinaus geht und damit zu rechnen, dass diese unsichtbare Realität durch mein Leben Sichtbarkeit und Wirksamkeit im Hier und Jetzt erlangen möchte.

Paulus schreibt im ersten Kapitel des Epheserbriefs:

Ich bete darum, dass Gott – der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater, dem alle Macht und Herrlichkeit gehört – euch den Geist der Weisheit und der Offenbarung gibt, damit ihr ihn immer besser kennen lernt. Er öffne euch die Augen des Herzens, damit ihr erkennt, was für eine Hoffnung Gott euch gegeben hat, als er euch berief, was für ein reiches und wunderbares Erbe er für die bereithält, die zu seinem heiligen Volk gehören, und mit was für einer überwältigend grossen Kraft er unter uns, den Glaubenden, am Werk ist. Epheser 1,17-19 (NGÜ)

Danach sehne ich mich. Dass meine geistlichen Herzens-Augen geöffnet werden. Dass ich aus dieser himmlischen Perspektive hoffnungsvoll leben kann. Dieses Leben widerspricht garantiert an einigen Stellen dem "normalen Leben" eines Mittelschicht-Schweizers, denn es basiert auf ganz anderen Grundannahmen über die Welt, den Menschen, die Zeit, den Sinn unseres Daseins und die Rolle, die Gott inner- und ausserhalb des Universums spielt. Ein Leben in Protest also. Aber nicht in wütendem, schäumendem Protest, der sich primär gegen Etwas oder Jemanden richtet und diesen Gegner am liebsten für immer aus der Welt schaffen würde. Sondern in hoffnungsvollem, lebensbejahendem, freudigem Protest, der mit einem Lachen auf den Lippen und einer demütigen Liebe zu den Menschen der Dunkelheit widersteht.

Nein, ich werde vielleicht nie der Typ sein, der wütend protestierend auf die Strasse geht. Doch so langsam aber sicher wächst in mir der Hunger nach prophetischem Protest und hoffnungsvoller Rebellion. Bist du dabei?

Ich protestiere!
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