Wer in der Bibel liest oder mit christlichen Anbetungsliedern in Berührung kommt, erfährt von der «Herrlichkeit» Gottes. Dieser Begriff wirkt für die heutige Zeit altbacken und rückständig. Doch der Blick auf das entsprechende Wort im Hebräischen bietet viel Erklärungs- und Hoffnungspotential.
Eine kleine Geschichte zum Wort «Herrlichkeit». Die Lateiner haben im angehenden Mittelalter das Wort dominus (zu Deutsch: Herr, ursprünglich Vater des Hauses) mehr und mehr durch das Wort senior ersetzt, was wörtlich «der Ältere, Erhabenere» bedeutet. Das deutsche Wort leitet sich davon ab. Entsprechend bedeutet Herrlichkeit «die Erhabenheit» und deutet den Status einer Person an. Damit verbunden ist das Verb «herrschen» respektive «Herrschaft», was seit dem Mittelalter gleichzusetzen ist mit patriarchalem Feudalismus. Vermutlich ist dieses Wortfeld unter anderem deswegen in der (post)modernen Welt unpopulär geworden.
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Der biblische Gott versteht sich als Herrscher, zweifelsohne. Auch wird Gott von den Christen in seiner Erhabenheit gepriesen. Doch betrachtet man den hebräischen Begriff hinter der deutschen Übersetzung, tut sich ein ganz neues Paradigma auf.
Ein gewichtiger Gott
Wo in der Bibel mit Herrlichkeit übersetzt wird, steht im Hebräischen kabod, das bedeutet «Schwere». Das Nomen ist wiederum abgeleitet vom Verb kabed, «schwer sein». Wenn von Gottes Herrlichkeit gesprochen wird, ist also sein Gewicht gemeint. Keine Ahnung, wie viele Tonnen Gott schwer ist, seine Physis ist hier wohl zweitrangig. Vielmehr ist damit wohl das zu verstehen, was wir im Deutschen mit Sprüchen wie «Diese Handlung hat gewichtige Konsequenzen.» oder «Er hatte einen gewichtigen Grund.» ausdrücken. Tatsächlich kommt das deutsche Wort «wichtig» von «gewichtig» und meinte ursprünglich das physische Gewicht, bevor es zu «bedeutend», «wesentlich» wurde.
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Wenn wir also von Gottes Herrlichkeit sprechen, meinen wir Gottes Bedeutsamkeit. Wer ihn verherrlicht, spricht ihm Bedeutung zu, gibt zu, dass er bedeutsam ist. Doch wozu das alles? Psalm 62,6-10 bringt diese Erkenntnis in einen Kontext:
Nur bei Gott komme ich zur Ruhe; er allein gibt mir Hoffnung. Nur er ist ein schützender Fels und eine sichere Burg. Er steht mir bei, und niemand kann mich zu Fall bringen. Gott rettet mich, er steht für meine Ehre ein. Er schützt mich wie ein starker Fels, bei ihm bin ich geborgen. Ihr Menschen, vertraut ihm jederzeit und schüttet euer Herz bei ihm aus! Gott ist unsere Zuflucht. Die Menschen vergehen wie ein Hauch; ob einfach oder vornehm – sie sind wie ein Trugbild, das verschwindet. Legt man sie auf die Waagschale, dann schnellt sie nach oben, als wären die Menschen nur Luft.
Einerseits bedeutet Gottes Bedeutsamkeit, dass all unser Streben und Gebärden im Vergleich zu ihm völlig unbedeutend ist. Er ist ewig, hält das Universum in seinen Händen und bestimmt über jeden Atemzug. Andererseits ist Gott für unser Leben so entscheidend bedeutsam, dass er unsere Ruhe, Hoffnung, Burg und Zuflucht sein kann. Das ist nicht nur eine schöne Option, sondern eine praktische Notwendigkeit.
Abhängig von Nichtigkeiten
Denn der Psalm 62 fährt mit Vers 11-12 fort:
Verlasst euch nicht auf erpresstes Gut, lasst euch nicht blenden von unrecht erworbenem Reichtum! Wenn euer Wohlstand wächst, dann hängt euer Herz nicht daran! Mehr als einmal habe ich gehört, wie Gott gesagt hat: »Ich allein habe alle Macht!«
Der Mensch hat die Tendenz, sich auf Dinge zu konzentrieren, die keine Bedeutung, resp. keine Herrlichkeit haben. Sie blenden resp. täuschen ihn. Das biblische Wort «Götzen» kann deswegen auch mit «Gottnichtse» übersetzt werden. Der Mensch ohne den gewichtigen Gott baut seine ganze Identität um «gewichtlose» Nichtigkeiten herum auf, erhofft sich Zuflucht, Ruhe und Hoffnung von ihnen. Die Bibel beschreibt Reichtum als eine solche Nichtigkeit, doch auch die Anerkennung durch Menschen oder irdische Macht gehören dazu.
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Verankertes Menschsein
Wir leben in einem Zeitalter, in der das Bewusstsein für die Bedeutsamkeit Gottes abnimmt. Ich glaube, dass jeder von uns davon betroffen ist, weil diese Haltung nicht nur ein Kind der Zeit ist, sondern der menschlichen Natur entspricht: Wir verbannen Gott aus unserem Denken, aus unserem Alltag, aus all unserem Wirken und Handeln. Wir orientieren uns stattdessen nach innen, folgen unserem «inneren» Kompass und tun das, was wir in uns für richtig halten. In der Postmoderne geht das soweit, dass jeder Anspruch von absoluter Wahrheit, der von aussen an mich gestellt wird, einem Machtmissbrauch gleichkommt. Wahrheit ist folglich das, was für mich Wahrheit ist.
Die Bibel widerspricht dieser Denkweise. Laut ihr führt diese einseitige Haltung zu Orientierungslosigkeit, mangelnder Erkenntnis und schliesslich in ein Abdriften ins Nichts. Sprüche 1, Vers 7 findet dazu klare Worte:
Alle Erkenntnis beginnt damit, dass man Ehrfurcht vor dem HERRN hat. Nur ein Dummkopf lehnt Weisheit ab und will sich nicht erziehen lassen.
Der Autor der Sprüche behauptet hier, dass der Mensch eine Orientierung, einen «Anker» ausserhalb seiner selbst braucht, um nachhaltige Erkenntnis und Orientierung im Leben zu erlangen. Dieser «Anker» ist Gott und die Orientierung an ihm wird hier als Ehrfurcht Gottes bezeichnet. Die Sprüche laden uns ein, uns in unserem Denken und Handeln an der Bedeutsamkeit des biblischen Gottes zu orientieren.