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Eingespannt

Josua Hunziker Josua Hunziker

Ich gehe auf die 40 zu und realisiere, dass meine Jugendträume wohl etwas naiv waren. Wie gehe ich um mit den ganz alltäglichen Spannungsfeldern meines Lebens?

Mein Leben fühlt sich gerade intensiv an. Aber nicht in der Art intensiv, wie ich es in meinen Zwanzigern erträumt hatte. Was hatte ich damals nicht alles für Visionen von meinem zukünftigen Selbst: Erfolgreiches Jetset-Leben, Gründer und Chef gleich mehrerer Firmen, international vernetzt, überall zu Hause. Natürlich mit engagierter Frau und glücklichen Kindern im Schlepptau, die sich auf nichts mehr freuen als auf den nächsten Umzug an eine weitere glamuröse Expat-Destination. Das alles natürlich im Auftrag und im Namen des Herrn.

Inzwischen habe ich so einiges gelernt. Dass Kinder viel Stabilität brauchen, zum Beispiel. Und ich selbst auch. Dass ich gar nicht die Energie habe, mehrere Firmen zu gründen, geschweige denn zu führen. Vielleicht nicht einmal eine einzige. Dass Reisen nicht nur spannend, sondern auch anstrengend ist. Dass bei mir schon bedeutend weniger Spannung als dauerne Umzüge reichen, um regelrechte Migräne-Attacken auszulösen. Dass meine Seele sich nach Ruhe sehnt. Und doch so oft nicht zur Ruhe kommt. Intensiv - das heisst für mich im Moment "eingespannt" in Familie, Beruf und weiteren Engagements die mir wichtig sind. Für Hobbies bleibt wenig Zeit. Und selbst um einen guten Freund zu treffen, muss ich mir oft die Zeit regelrecht "freihauen".

Violin strings in close-up
Photo by Providence Doucet / Unsplash

"Eingespannt" - habe ich davon geträumt vor 15 Jahren? Als ich Gott immer und immer wieder bat, mein Leben ganz zu nehmen, etwas daraus zu machen, mich zu gebrauchen in seinem Reich? Es brannte diese unbändige Sehnsucht in meinem Herzen, in Gottes Reich "nützlich" zu sein. Und jetzt? Welchen Nutzen, welchen Sinn hat mein "eingespanntes" Leben? Warum fühlen sich viele Phasen eher an, als ob Vieles, was ich an mir selbst toll fand (weil ich darin performen konnte), abgehobelt und abgestumpft würde?

Natürlich, immer und überall "eingespannt" zu sein, kann auch ein Symptom sein von einem überfüllten "ich will nichts verpassen und überall dabei sein"-Lebensstil. Ich kenne diese Krankheit nur zu gut. Da heisst es dann "verlangsamen - vereinfachen - durchatmen - anbeten". Zur Ruhe kommen. Doch könnte es auch sein, dass Gott mich bewusst "einspannt" und "eingespannt" lässt, um mein Leben zu formen?

Der Klang

In seinem Bestseller Der Klang beschreibt der deutsche Geigenbau-Meister Martin Schleske auf eindrückliche Art und Weise den Entstehungsprozess seiner Geigen. Schleske - nebst passioniertem Handwerker auch studierter Physiker - brennt für seine Leidenschaft, dem Geheimnis eines berührenden Klanges auf die Spur zu kommen. Viele Aspekte seiner Arbeit und seines Forschens deutet er mit tiefgründigem Scharfsinn auf unser geistliches Leben mit Gott. Eines dieser Gleichnisse ist mir in Bezug auf mein eigenes "Eingespannt sein" besonders nahe gegangen - das Gleichnis der gehobelten Wölbung in der Geigendecke:

Die Geigendecke ist in die hölzernen Banknägel der Hobelbank gespannt. [...] Dann arbeite ich - anfangs in groben und lang gezogenen Stichen - aus dem keilförmigen Holz die Wölbung heraus. Je länger ich arbeite, desto feiner werden die Stiche. Anfangs müssen sie gross sein. Sie geben der Wölbung ihren Charakter. Jeder Stich durch das Holz hat seinen eigenen zischenden oder reissenden Ton. Arbeite ich mit der Faser, dann entsteht ein heller Ton, und das Eisen läuft ruhig. Arbeite ich gegen die Faser, dann ist der Ton rau und reissend; das Eisen vibriert und wird unruhig in der Hand. So höre und spüre ich bereits vom ersten Stich an den Faserverlauf und mache mir das Holz vertraut.

Shaving wood
Photo by Mike Kenneally / Unsplash

Aha - eingespannt in der Hobelbank. Da ist es. Mein Lebensgefühl. Aber hey, wenn der Geigenbauer das Holz einspannt, dann weil er es zum Klingen bringen will. Die Spannung auf dem Holz, die Beabreitung mit Stecheisen und Hobel - all das dient nicht zur Zerstörung, sondern zur vollkommnenen Vollendung der Bestimmung dieses Stücks Fichtenholz. Könnte es sein, dass auch mein "Eingespannt sein" einem solchen Zweck dient? Dass Gott mich auch darin formen will?

Mich formen lassen. Das löst zwiespältige Gefühle in mir aus. Einerseits ein "Ja, Gott, forme mich!". Andererseits ehrlicherweise auch eine gewisse Angst - was, wenn ich in eine Form gebracht, in eine Schablone gepresst werde, die mir nicht gefällt? Wer weiss, ob ich mich in der Form, die Gott seinen Kindern zugedacht hat, auch wohl fühle? Was ist mit meiner ganz eigenen Persönlichkeit - hat die noch Platz in der Hand des Meisters? Oder verfolgt er mit mir einfach seine fixe Vorstellung eines "gelungenen Christen"?

Das Holz achten

Schleskes Gleichnis geht noch weiter: Er führt aus, dass es selbstverständlich Schablonen und Masstabellen gibt, um die Form und die Wölbung einer "perfekten" Geige zu beschreiben. Die besten Geigen der Welt wurden zigfach analysiert, vermessen und sprichwörtlich durchleuchtet. Und doch kann man sie nicht einfach kopieren. Warum? Jedes Holz ist anders - anders gewachsen; war Wind und Wetter, Nässe und Trockenheit ausgesetzt. Die Meisterschaft des Geigenbauers besteht nun darin, den Faserverlauf des Holzes zu erkennen und in seine Arbeit mit einzubeziehen:

Den Verlauf der Fasern zu missachten, würde bedeuten, den Klang der Geige zu verderben. Die Wölbung kann augenscheinlich noch so schön sein. Wird die Wölbung der Faser nicht gerecht, dann ist sie nicht die Arbeit eines Meisters. [...] Es wäre billig, dem Holz die eigene Vorstellung aufzuzwingen. Eine höhere Kunst ist es, zu erkennen, was die gegebene Faser verlangt. Und eben das ist die Klangkunst im Geigenbau. [...] Wenn ich nun schon als Geigenbauer die Liebe habe, mit der gewachsenen Faser zu arbeiten, und entschlossen bin, mit dem gewordenen (und manchmal auch schwierigen) Holz das Werk zu beginnen, um wie viel mehr wird Gott es tun!

Violin from the exhibition Drottningarna
Photo by Philip Myrtorp / Unsplash

Was für ein grossartiges Bild: Gott will mein Leben zum Klingen bringen. Er bearbeitet mein Leben, spannt es ein, hobelt ab, was den Klang stört. Doch nicht durch maschinelles Ausfräsen einer vordefinierten Schablone - Gott sieht und erkennt mich, kennt meine Persönlichkeit und arbeitet mit dieser. Denn die Bibel stellt uns Gott als den Gott vor, der den individuellen Menschen sieht, ihn liebt und mit ihm Gemeinschaft haben will. Oder, wie es Schleske ausdrückt, mit ihm "spielen" will. Nicht in bösartigem Spiel, sondern in der Art wie ein Musiker sein Instrument spielt, zum Klingen bringt.

Gerufen zum Spiel

Was ebenfalls deutlich wird: Es geht in all dem nicht in erster Linie um mich, meine Träume oder die "Verwirklichung meines wahren Selbst": Das alles ist höchstens Mittel zum Zweck. Gott will mich, er will, dass das Leben, das er mir gab, zum Klingen kommt, er will "mich spielen" und durch sein Spiel mit mir berührt werden. Und er will mit dem Klang, den er in mein Leben legt, andere Menschen berühren. Klang ist Beziehung, Klang ist Botschaft, die nicht in erster Linie beim Verstand, sondern oft direkt beim Herzen ankommt. Auf dieser Ebene formt Gott mein Leben.

Seit mich dieses Gleichnis "verfolgt", bete ich immer wieder:

"Herr, lass mein Eingespannt sein dazu dienen, dass mein Leben zum Klingen kommt. Forme du den Klang meines Lebens. Ich vertraue dir, dass du weisst, was du tust."

Vielleicht kann das auch dein Gebet werden.

Eingespannt
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