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Slow Down & Simplify

Emanuel Hunziker Emanuel Hunziker

Wir leben in ständigem Zeitnotstand, reich an Möglichkeiten, aber arm an Zeit. Das muss sich ändern. Unser Leben verlangsamen & vereinfachen ist angesagt.

Keine Zeit

"Warum haben wir ständig keine Zeit, Herr Rosa?" fragte Barbara Bleisch in einem kürzlich erschienenen Interview bei SRF. Professor Rosas Antworten sind treffend, wie ich finde. Hier ein paar Ausschnitte:

Zeitnot

Je reicher eine Gesellschaft wird, umso stärker scheint der Zeitwohlstand zu sinken und die Zeitnot zuzunehmen. Denn materieller Wohlstand bedeutet, dass wir mehr produzieren und konsumieren. Das gilt nicht nur für Dinge. Wir haben auch viel mehr Kontakte und Möglichkeiten. Das führt dazu, dass wir für jedes Einzelding weniger Zeit haben.

Zeitsparen

Man kann die Geschichte der Moderne als Geschichte des Zeitsparens erzählen. Es gibt kaum eine Technologie, die uns nicht Zeit einspart. Beispiel Fortbewegung: Mit dem Auto ist man in zehn Minuten da, zu Fuss braucht man über eine Stunde. Wenn wir gleich viel täten wie noch vor 100 oder vor 200 Jahren, dann hätten wir einen Zeitwohlstand.

Im Steigerungsmodus

Wir sind eine Gesellschaft, die sich nur im Steigerungsmodus erhalten kann.
Das erzeugt eine Art inneren Zwang. Der Kapitalismus ist ein Wirtschaftssystem, das auf Steigerung beruht: Zeit wird Geld, das heisst, Zeit kriegt einen ökonomischen Wert und wird damit teuer. Das treibt die Beschleunigung an.

Und wie bremsen wie diesen immer schneller werdenden Zeitspar-Trip? Wie kommen wir gegen die Beschleunigung an? Rosa zieht folgenden Schluss:

Überwältigt sein lernen

Ich glaube, das Leben gelingt in dem Moment, in dem ich gar nicht etwas tue, sondern mich anrufen lasse von etwas, was da draussen ist. Wir müssen wieder lernen, uns von einer Sache packen zu lassen. Das bringt uns davon weg, zu fragen, was ich spüre und was ich will, weil ich völlig überwältigt bin.

Es geht also nicht darum, mehr Zeit für sich selbst zu haben, sondern für eine Sache, die einem völlig überwältigt. Man nennt das auch Hingabe. Dazu sind wir erschaffen worden. Wir drehen uns zu sehr um unsere Gefühle und Wünsche und rennen allen möglichen Optionen nach. Dabei rennt uns die Zeit davon.

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Photo by Job Savelsberg / Unsplash

Tu, was du sollst

Der Neurowissenschaftler und Psychiater Raphael Bonelli argumentiert in seinem neuen Buch Bauchgefühle, dass psychische Probleme oft das Ergebnis eines ungeordneten Lebens sind:

Psychische Probleme sind oft nur ein Ergebnis aus wiederkehrenden falschen Handlungen, welchen eine grosse Unordnung im Leben zu Grunde liegt. Die Psychologie hat lange ihren Teil dazu beigetragen, indem sie das Ich und seine Bauchgefühle als die absoluten Wahrheiten darstellte.

Du wirst zu dem, was du liebst. Deine Handlungen prägen dich. Dass wir uns in viel zu vielen Aktivitäten verheddern und uns die Zeit davonläuft, hat entscheidend mit einer Unordnung in unseren Prioritäten zu tun. Wir sind dafür geschaffen, uns einer Sache völlig hinzugeben, statt uns ständig um uns selbst und unsere Gefühle und Wünsche zu drehen. Bonelli beschreibt das so:

Eine klassische Handlungsanleitung, die eine starke Präsenz im Hier und Jetzt fordert, nachdem eine vernünftige Priorisierung geschehen ist, lautet: Tu, was du sollst, und sei ganz in dem, was du tust.

Tu weniger, mit mehr Fokus

So lautet unser Jahresfokus 2023 als Kirche. Ich habe kürzlich darüber geschrieben. Als ich im September 2022 in Portland an der Pastorenkonferenz von Practicingtheway war, schrieb ich folgende Worte nieder, als Leitlinien fürs 2023 und sandte sie meinem Staff-Team:

Slow Down

Simplify

Shabbat

Shalom


Verlangsamen

Vereinfachen

Sonntagsruhe

Wohlergehen

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Photo by Job Savelsberg / Unsplash

Shalom

Shalom bedeutet Frieden, Wohlergehen, Heil, Ruhe, Unversehrtheit, Ganzheit, Glück. Das, nach was sich jeder Mensch in irgendeiner Art und Weise sehnt. Das Gefühl, das in vielen Werbungen mit Bildern und Musik vermittelt wird. Wie kommen wir zum Shalom? Shalom ist die Frucht der Gerechtigkeit:

Und der Gerechtigkeit Frucht wird Friede sein, und der Ertrag der Gerechtigkeit wird Ruhe und Sicherheit sein auf ewig, dass mein Volk in friedlichen Auen wohnen wird, in sicheren Wohnungen und in sorgloser Ruhe. Jesaja 32,17f

Shalom ist auch die Folge von Gottvertrauen:

Herr, du gibst Frieden dem, der sich fest an dich hält und dir allein vertraut. Jesaja 26,3

Der jüdische Claude Montefiore definiert Shalom so:

„... der Friede, der allein versöhnt und stärkt, der uns beruhigt und unser Gesichtsbild aufhellt, uns von Unrast und von der Knechtung durch unbefriedigte Gelüste frei macht, uns das Bewusstsein des Erreichten gibt, das Bewusstsein der Dauer, inmitten unserer eigenen Vergänglichkeit und der aller Äusserlichkeiten.“

Was hat Priorität?

Und wie kommen wir jetzt zum Shalom? Könnte es sein, dass wir unter gestresster Zeitnot leiden, weil wir zu viel wollen in viel zu wenig Zeit? Wer mehr produzieren will, muss die Geschwindigkeit erhöhen. Wer mit mehr Menschen in Kontakt sein will, hat weniger Zeit für den Einzelnen.

Was hat Priorität? Was lieben ich am meisten? Es zeigt sich stark darin, wem oder was ich wieviel Zeit zumessen.

Augustinus definierte den Begriff Sünde als ungeordnete Liebe. Ich liebe meine Ehefrau. Ich liebe mein Hobby. Wenn ich mein Hobby mehr liebe als meine Frau, stimmen meine Prioritäten nicht. Ich werde meiner Frau nicht gerecht. Wo Ungerechtigkeit herrscht, ist kein Shalom.

Damit unsere Prioritäten geordnet werden können, müssen wir sie vernünftig priorisieren und dann auch danach leben. Das bedeutet, dass gewisse Dinge keinen Platz mehr in unserem Leben haben, zu Gunsten der Menschen und Tätigkeiten, die einen hohen Stellenwert einnehmen sollen.

The peaks of Vestrahorn mountain in Iceland
Photo by Job Savelsberg / Unsplash

Slow Down & Simplify

Verlangsamen & Vereinfachen

Je mehr Dinge eine hohe Priorität einnehmen, desto mehr stehen sie in gegenseitiger Konkurrenz. Um der Zeitnot und dem Unfrieden zu entkommen, müssen wir unsere Prioritätenliste vereinfachen, sprich kürzen.

  • Was zählt in meiner jetzigen Lebensphase am meisten?
  • Was ist weniger wichtig?
  • Was ist reine Zeitverschwendung?

Eine schlüssige Antwort darauf geben, fordert Ehrlichkeit mit sich selbst. Selbstführung ist gefragt. Wer hat Anspruch auf meine Zeit? Wem schenke ich meine Zeit? Wem schenke ich meine beste Zeit?

1 Woche hat 168 Stunden. Wenn du mal Schlaff, Essen, Körperpflege und Arbeit abziehsr, wieviel bleibt dann noch? Nicht so wenig wie du denkst! Wie setzt du sie ein?

Shabbat

Shabbat bedeutet: Aufhören. Anhalten. Pausieren. Ruhen. Sich freuen! Noch ein Zeitfresser? Nein, im Gegenteil! Einen Tag pro Woche die Arbeit niederlegen ist Gottes Erlösung für alle, die keine Zeit haben. Der Sabbat dient dazu, das Tempo zu drosseln. Sich an Gott, einander und der Schöpfung zu freuen. Gemeinsam zu feiern bei einem gemeinsamen Essen.

Und Gott segnete den siebten Tag und erklärte ihn zu einem heiligen Tag, der ihm gehört, denn an diesem Tag ruhte Gott, nachdem er sein Schöpfungswerk vollbracht hatte. 1.Mose 2,2-3

Der Sabbat ist schon von Gott heiliggesprochen. Die Frage lautet: Halte ich diesen Tag auch heilig? Warum renne ich weiter, wenn sogar Gott ruhte? Der Sabbat ist ein Feiertag, an dem wir Gottes Erlösung in Jesus Christus feiern. In Christus ist unsere Ruhe und unsere Freiheit. In Christus sind wir erlöst von der Rastlosigkeit unseres Zeitalters. Christus spricht uns gerecht. Darum dürfen wir aufhören zu arbeiten und ruhen.

Darum lasst uns alles daransetzen, zu dieser Ruhe Gottes zu gelangen. Hebräer 4,11

Slow Down & Simplify
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