Eigenverantwortung übernehmen ist anstrengend. Jemand anderem die Schuld in die Schuhe schieben scheint der einfachere Weg zu sein. Mit Betonung auf scheint.
Was läuft schief?
Mein Herz ist voller Schmerz und Leiden. Was mache ich falsch? Der hedonistische Konsumgeist unserer Kultur will mir klarmachen, dass ich alles Unangenehme meiden sollte. Alles, nur nicht leiden. Dann lieber sterben. Exit lässt grüssen. Lebe schnell – sterbe jung. Kauf alles! Nimm dir, was du brauchst. Hol dir, was du willst. Wenn nötig mit unlauteren Mitteln. Ein bisschen schummeln liegt drin. Muss ja. Die anderen machen's ja auch. Biege die Planken bis sie brechen. Warum warten? Ich brauche es jetzt. Ich will es jetzt. JETZT! Warum eigentlich?
Wir haben Zugang zu allem. Brot und Spiele halten den Ball am Laufen. Und das Geschäft erst recht. Der Rubel rollt zwar langsamer als auch schon. Dafür schwingt der Taler selig weiter. Gottfried Stutz und Johnny Cash. Schaffe, schaffe, Häusle baue. Alles ein grosser Jahrmarkt der Beschallung und Belustigung. Eingelullt in die Spinnfäden der Mammon Tarantel. Nur nicht aufwachen, schön weiter träumen. Die Illusion darf auf keinen Fall platzen. Bleib Teil des Systems. Dreh deine Runden auf dem Karussell der Propagandamaschine. Spüre den Wind in deinen Haaren auf der Achterbahn der Gefühle. Alle sind gleich. Niemand darf anders sein. Wer herausragt wird beschnitten. Bis alle durchschnittlich sind.
Lasst uns anders sein. (Seven)
Digitale Betäubung
Täglich beschäftigen sich Millionen von Menschen damit, so zu sein wie alle anderen. Wir dachten, wir hätten das hinter uns. Jeder ist einzigartig wie ne Schneeflocke. Schöne neue Welt. Digital vernetzt und globalisiert. Und was machen wir daraus? Wir schauen auf unser Smartphone und lassen uns vom Social-Media Account anderer diktieren, wie wir zu sein haben. Ah, stimmt. Ist ja kein Zwang. Nur ne Idee. Selber schuld, wenn du neidisch auf andere bist. Doch, was ist die Alternative? Sich selbst sein? Uiuiui. Wenn jemand wüsste, wie ich wirklich bin. So ganz tief in mir drin. Das will ich ja selbst gar nicht wissen. Geschweige denn wahrhaben. Nun, ab und an dringt ein Signal aus meinem Unterbewusstsein an die Oberfläche. Wie bitte? Jetzt muss ich mich auch noch mit mir selbst beschäftigen? Ich hab genug andere Probleme. Lieber sofort wieder runterdrücken, dieses Unbehagen. Deckel drauf. Und wenn's wieder hochkommt? Dann betäube ich den Schmerz. Mit was auch immer.
Der amerikanische Comedian Louis C.K. sprach in der Conan O'Brien Late Night Show darüber, warum er Smartphones hasst. Seine Erklärung: Smartphones stehlen uns die Möglichkeit, einfach da zu sitzen und zu sein. Wenn in einem unsicheren Moment der innere Schmerz in uns hochkommt, betäuben wir diesen sofort, indem wir nervös zu scrollen beginnen (leider nur in Englisch, sorry).
Ausweichen
Nüchtern halt ich mich nicht aus. So hiess eine Sendung von Fenster zum Sonntag aus dem Jahr 2016.
Cannabis, Kokain, synthetische Drogen: Die Schweiz ist eine Nation von Drögelern. Es wird hemmungslos geraucht, geschnupft, gespickt und geschluckt. Zwischen Genf und Rorschach findet sich eine zahlungskräftige und konsumfreudige Klientel. Die Schweiz ist eine europäische Drogen-Hochburg. Mit illegalen Substanzen werden Milliarden umgesetzt, stellt der Drogenreport fest.
Hinzu kommen die sogenannten Substanzungebundenen Abhängigkeiten:
Pathologisches Spielen (Glücksspielsucht), Medienabhängigkeiten, Computerspielabhängigkeit, Internetabhängigkeit, Fernsehabhängigkeit, Smartphoneabhängigkeit, Arbeitssucht, Kaufzwang, Messie-Syndrom, Hypersexualität (Sexsucht), Exzessives Sporttreiben.
Unterm Strich geht's um ein und dasselbe: Dem Schmerz ausweichen.
Kein Ersatz
Mit dem Titel seines Albums und Songs «Bleibt alles anders» aus dem Jahr 1998 beschrieb der deutsche Barde Herbert Grönemeyer ein sehr menschliches Paradoxon: Wir sehnen uns nach Veränderung und fürchten sie zugleich. Grönemeyer schrieb den Liedtext, nachdem er für eine Zeit lang in einer Therapiestation für suchtabhängige Jugentliche arbeitete (so zumindest meine Erinnerung an ein Interview mit ihm).
Es gibt viel zu verlieren, du kannst nur gewinnen
Genug ist zu wenig - oder es wird so wie es war
Stillstand ist der Tod, geh voran, bleibt alles anders
Der erste Stein fehlt in der Mauer
Der Durchbruch ist nah
Kein Ersatz - Deine Droge bist Du
Kein Ersatz. Lerne mit dir selbst klar zu kommen. Lerne die nüchterne Realität nicht nur auszuhalten, sondern darin zu leben und zu wohnen. Hör auf damit, deine seelischen Abgründe schönzureden. Nicht mehr schön-trinken. Nicht mehr schön-scrollen. Nicht mehr weg-liken. Nicht mehr auf andere projezieren. Einfach mal bei dir selbst sein. Und bleiben. Gar nicht mal so einfach, wenn das Lebenskarrussel unafhörlich dreht und es einem trotz Schwindel und Übelkeit schwerfällt auszusteigen. Was tun? Es gibt nur einen Weg: Das eigene Tempo drosseln. Runter vom hohen (Karrussel-) Pferd. Aussteigen. Ausbrechen. Innehalten. Zur Ruhe kommen. Bei sich selbst ankommen. Bei sich selbst wohnen. Hmmm. Will ich denn überhaupt bei mir selbst wohnen? Was, wenn es mir gar nicht gefällt, so ganz bei mir selbst?
Wenn ein Mensch mich wirklich lieb hat, dann wird er an dem festhalten, was ich gesagt habe, und das in die Tat umsetzen. Dann wird auch mein Vater ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen. (Jesus aus Galiläa)
Jesus und sein Vater wollen bei denen wohnen, die Jesus lieben. Verblüffende Ansage. Wie kommt es dann, dass ich so oft Mühe habe, bei mir selbst zu wohnen? Komisch.
Habitare Secum
Wer nicht allein sein kann, der hüte sich vor der Gemeinschaft.
Diesen Satz schrieb Dietrich Bonhoeffer in seinem zeitlos lesenswerten Büchlein „Gemeinsames Leben“. Die Tagespost schreibt dazu:
Wer es nicht gelernt habe, es mit sich selbst auszuhalten, so Bonhoeffer, der missbrauche die Gemeinschaft für seine eigenen egoistischen Ziele. Ganz ähnlich verurteilt der Ordensvater Benedikt die Angewohnheit mancher Mönche, sich herumzutreiben und sich in fremde Angelegenheiten zu mischen, als schweres Übel. „Habitare secum“, bei sich selbst wohnen, das solle ein Mönch lernen.
Habitare secum. Bei sich selbst wohnen. Wer das nicht kann, wird seine Mitmenschen in den Wahnsinn treiben, früher oder später. Er wird den Staub beim Nachbarn aufwirbeln, anstatt vor der eigenen Tür zu wischen. Den Splitter im Auge des Nächsten dramatisieren und den Balken im eigenen Auge bewusst ignorieren. Ohne persönliche Stille und das gut kultivierte Alleinesein, kann keine echte Gemeinschaft entstehen. Wer nicht mit sich selbst klar kommt, wird es mit seinen Mitmenschen erst recht nicht hinbekommen. Der Weg nach Innen ist gefragt.
Es gibt Dinge, die kann man nur alleine tun. Auch wenn man gerne davonlaufen möchte: Denken, Gewissensentscheidungen treffen und schließlich sterben muss jeder Mensch und er kann all das nicht an jemand anders delegieren. „Ja, ich leide. Doch leide ich auch gut?“, hat Thérese von Lisieux auf dem Sterbebett gefragt. (Die Tagespost)
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Allein sein
Allein sein will gelernt sein. Mit sich selbst zuerecht kommen braucht Übung. Eigenverantwortung ist gefragt. Nicht mehr seine Probleme auf andere projezieren können ist hart. Wenn ich nicht mehr meine Eltern, meinen Vorgesetzten, die Gesellschaft, die Kirche, den Nachbar, die Partnerin oder die Regierung für meine persönliche Misere verantwortlich machen kann, ist das ein Problem für meine Verdrängungstaktik. Mich mir selbst stellen. Gar nicht so einfach. Aber bitternötig. Kein Ersatz. Kein Placebo. Keine Betäubung. Nur noch die nüchterne, rohe Realität.
Es gibt keine tiefe Gemeinschaft ohne Alleinsein. Ein Alleinsein, in dem der Mensch Verantwortung für sich selbst übernimmt und sich den großen Fragen des Lebens stellt. Es sind solche Zeiten, in denen neue Ideen und manchmal gar große Berufungen wachsen können. Nicht umsonst berichten biblische Geschichten wie jene von Mose oder Jesus von den Zeiten in der Wüste, der Vorbereitung im Verborgenen, die dem öffentlichen Wirken vorausgingen. Die atemberaubende Geschwindigkeit der heutigen Welt und die Menge der auf uns einströmenden Reize wirken wie eine Droge. (Die Tagespost)
Das Tempo drosseln. In die Stille einkehren. Alleine sein. Wann fangen wir damit an? Am besten sofort. Jetzt. 5 Minuten anhalten. Das Fenster öffnen. Oder nach Draussen gehen an die frische Luft. Tief durchatmen. Beten:
Danke Jesus, dass du da bist. Du bist immer da. Ich bin jetzt auch da. Zuvor war ich nicht da. Nicht präsent. Ich war besorgt. Gehetzt. Auf der Überholspur. Verkopft am Hirnen. Mich selbstbemitleidend am Träumen. Damit ist jetzt Schluss. Zumindest mal für 5 Minuten. Jetzt bin ich da. Da bei Dir, Jesus. Bei dir darf ich sein.
Bei dir sein
I just want to be there with you
Always want to be close to you all of my life
Ich will nur bei dir sein
Ich möchte dir mein ganzes Leben lang immer nahe sein
(JERUSALEM, Gesamter Songtext)
Ich erinnere mich noch gut an meine praktische Lehrabschlussprüfung als Forstwart im Zürcher Weinland. Ich hatte panische Prüfungsangst. Äusserlich versuchte ich mir nichts anmerken zu lassen. Innerlich starb ich tausend Tode. Aber da war dieses Lied von Jerusalem. Ich sang es innerlich über die Prüfungstage hinweg, manchmal nahe den Tränen: "I just want to be there with you..." Das Lied half mir, mich auf Gottes Gegenwart zu konzentrieren und so der Prüfungsangst entgegen zu treten, als kleiner Löwe mit dem grössten aller Löwen hinter mir, dessen Brüllen jeden Orc in die Flucht schlägt.
Wenn du am Computer die Pause Taste drückst, dann steht der Rechner still. Wenn du bei dir selbst die Pause Taste drückst, fängt sich alles in dir an zu bewegen. (Zitat eines amerikanischen Geschäftsmanns)
Auf der Achterbahn der Überholspur-Gesellschaft bleibt unser Innenleben apathisch stehen. Unsere Seele verkrampft und krümmt sich ab der toxischen Geschwindigkeit, die uns das Bewusstsein raubt wie eine hohe G-Belastung.
Seelenverlust
Wenn wir nach dem Höllentrip unseres modernen Alltags dann mal einen Moment für uns haben und zu uns kommen, stellen wir inneres Chaos und Kollateralschäden in unserem Herzen fest. Dabei geht es nicht nur darum, was wir falsch gemacht haben. Sünde ist dreifaltig.
- Sünde, die wir tun
- Sünde, die uns andere antun
- Sünde, die um uns herum geschieht
Sünde bedeutet Zielverfehlung. Wir leben an der Realität vorbei. Wir bauen eine zeitlich limitierte Parallel-Realität auf, die langfristig zum Scheitern verurteilt ist. Wir können dabei die ganze Welt gewinnen und uns aber selbst darin verlieren. Jesus durchschaute diese Strategie und ihre Abgründe, als er sagte:
Welchen Nutzen hat ein Mensch davon, wenn er die gesamte Welt sein Eigen nennen kann, aber dafür sich selbst verliert? Und was könnte ein Mensch als Gegenwert für sein Leben einsetzen? (Jesus von Nazareth)
Ich schliesse diesen abgefahrenen Blog-Spacetrip mit der biblischen Figur Lot und seiner Frau. Lot entschied sich für ein Leben in Sodom und Gomorra. Es erinnerte ihn an das hoch zivilisierte Ägypten. Er lebte ein Leben in Wohlstand, aber seine Seele nahm zunehmend Schaden an dem, was um ihn herum abging. Eines Tages entschied Gott, dass die Zeit reif ist für einen Epochenbruch. Eine Zeitenwende stand an. Er sandte zwei Engelsboten zu Lot, um ihn und seine Familie vor der bevorstehenden Katastrophe zu retten.
»Lauft um euer Leben!«, sagte einer der beiden Boten. »Schaut nicht zurück, bleibt nirgendwo stehen, sondern flieht ins Gebirge! Sonst werdet ihr umkommen!«
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Vorwärts
Forwards ever. Backwards never.
Vorwärts immer. Rückwärts nimmer.
Flucht nach Vorne. Niemals zurück. Auch wir sind aufgefordert, nicht an einem Lebensstil festzuhalten, der uns innerlich zunehmend vergiftet und zerstört. Denn wie Sodom und Gomorra wird die Welt mit ihrem Treiben nicht für immer bestehen. Aber Gott bleibt nicht stehen.
Aber Gott hat uns einen neuen Himmel und eine neue Erde versprochen. Dort wird es kein Unrecht mehr geben, weil Gottes Wille regiert. Auf diese neue Welt warten wir. (Apostel Petrus)
Gott geht weiter. Es geht weiter. Er schreibt seine Geschichte weiter, mit einem neuen Himmel und einer neuen Erde. Wir dürfen schon jetzt in der Realität dieser kommenden, neuen Welt leben. Jesus gibt uns den Zugang zu dieser Lebens-Dimension.
Lots Frau drehte sich auf der Flucht um und schaute zurück. Sofort erstarrte sie zu einer Salzsäule. 1.Mose 19,26
Welch schauriges Lebensende. Doch wieviele von uns erstarren wie Lots Frau und bewegen sich nicht mehr von der Stelle, weil wir unser Herz zu sehr an die Vergangenheit geheftet haben und darum nicht loslassen können, wenn eine neue Zeit anbricht. Veränderungen bejammern hat noch nie geholfen. Der einize Ausweg führt mitten hindurch. Flucht nach Vorne.
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Ungetrübtes Glück
Stillstand ist der Tod, geh voran, bleibt alles anders
Der erste Stein fehlt in der Mauer
Der Durchbruch ist nah
Kein Ersatz – Deine Droge bist Du
Kein Ersatz. Es gibt keinen Ersatz für Gott. Alles ist vergänglich. Gott bleibt bestehen. Möge diese Wahrheit unsere Herzen von allen Illusionen und Lügen befreien und in eine Zukunft führen, die geprägt ist vom Bewusstsein seiner Allgegenwart und seiner in uns wohnenden Präsenz durch seinen Geist. Wenn Jesus und der himmlische Vater gern in mir wohnen möchten und ich auch damit anfange, wird Menschsein erst richtig schön. Ungetrübtes Glück und Freude in Hülle und Fülle. Dazu wurden wir erschaffen. Das alles finden wir nur bei Gott selbst.
Mein Besitz und mein Erbe ist der HERR selbst. Ja, du teilst mir zu, was ich brauche! Was du mir für mein Leben geschenkt hast, ist wie ein fruchtbares Stück Land, das mich glücklich macht. Ja, ein schönes Erbteil hast du mir gegeben!Ich preise den HERRN, weil er mich beraten hat! Selbst nachts weist mein Gewissen mich zurecht.
Ich habe den HERRN stets vor Augen. Weil er mir zur Seite steht, werde ich nicht zu Fall kommen. Deshalb ist mein Herz voll Freude, und ich kann aus tiefster Seele jubeln. Auch mein Körper ruht in Sicherheit.Meine Seele wirst du nicht dem Totenreich überlassen, mich, deinen treuen Diener, wirst du vor dem Grab verschonen.
Du zeigst mir den Weg zum Leben. Dort, wo du bist, gibt es Freude in Fülle; ungetrübtes Glück hält deine Hand ewig bereit. Psalm 16,5-11