Mein Vater sagt mir immer wieder: «Lukas, die Freude am Herrn ist deine Stärke.» Ich hatte stets mit einem Amen geantwortet, denn dieser Spruch tönt nicht schlecht. Beim genaueren Hinhören hatte ich bemerkt, wie inhaltslos die Worte für mich waren, auch wenn ich die damit verbundene Verheissung attraktiv fand. Ich hatte das schon erlebt, aber den Weg dahin nicht beschreiben können.
Besonders in Zeiten, in denen ich meine Freude verloren habe, lagen die Worte meines Vaters wie eine Frage in der Luft: Wo ist meine Freude hin? Diese Frage möchte ich auch dir stellen: Hand aufs Herz, freust du dich am Leben? Und wenn nein, wie kommst du (wieder) zu dieser Freude? In diesem Artikel teile ich mit dir, weshalb die Freude am Herrn einer der Hauptgründe ist, warum ich Jesus nachfolge.
Ein weinendes Volk
Auch wenn Paulus viel über Freude schreibt, stammt der Bibelvers «Die Freude am Herrn ist deine Stärke» nicht aus dem Neuen Testament. Es ist Esra, der zum aus der Gefangenschaft zurückgeführten Volk spricht:
«Und seid nicht bekümmert; denn die Freude am HERRN ist eure Stärke.» Nehemia 8, 10 (Lutherbibel 17)
Wie kommt er zu dieser Aussage? Zwei Generationen lang waren die Israeliten getrennt von ihrem Heimatland in einem fernen Land, einer fremden Kultur. Als sie zurückkamen, angeführt von Esra und Nehemia, standen sie an einer Kreuzung: Wie machen wir weiter, nachdem so viel verloren gegangen ist für 70 Jahre? Sie entschlossen sich, sich mit Gott zu versöhnen und das Leben mit ihm zu gestalten.
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Dadurch kam es zu einer denkwürdigen Szene: Esra liest aus dem Gesetzbuch Mose vor, dem Wort Gottes, das die meisten Israeliten aufgrund der Deportation schon lange nicht mehr gehört haben. Das Gesetzbuch ist ihnen mittlerweile so fremd, dass sie Übersetzer – die Leviten - brauchen, die zwischen den Reihen hindurch gehen und ihnen beim Verständnis helfen. Das Volk reagiert sonderbar auf das Wort Gottes:
«Als das Volk die strengen Forderungen des Gesetzes hörte, fingen alle an laut zu weinen.» Nehemia 8,9 (Gute Nachricht)
Einerseits war das Volk schockiert, 70 Jahre lang an diesem Gesetz vorbeigelebt zu haben. Andererseits war das Gesetz Gottes wie ein grosser Berg, ein unerreichbarer Ort. Sie sahen den Unterschied zwischen ihrem Lebensstil und der Gerechtigkeit Gottes. Kennst du das Gefühl, mit deinem Leben am eigentlichen Sinn vorbeigelebt zu haben, und nicht dort zu sein, wo du eigentlich sein solltest? Ich erkenne das in meinem Leben wieder. Das Bewusstsein, dass Gottes Standarts und seine Gerechtigkeit so viel höher sind als meine, zermürbt mich.
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Ich fühle mich in diesen Situationen am falschen Platz, dass mein Leben nicht dem entspricht, was Gott mit meinem Leben will. Und wie reagiert Esra auf diese ernüchternde Erkenntnis des Volkes? Da sind keine Anweisungen wie «Das schafft ihr schon!», «Nicht so schlimm!» oder «Glaubt einfach etwas mehr!» Stattdessen gibt Esra die wohl undenklichste Anweisung, die in diesem Moment angebracht scheint:
»Geht nun, esst und trinkt! Nehmt das Beste, was ihr habt, und gebt auch denen etwas, die nichts haben. Der heutige Tag ist ein Festtag zur Ehre des Herrn! Macht euch keine Sorgen, denn die Freude am Herrn umgibt euch wie eine schützende Mauer.« Nehemia 8, 10 (Gute Nachricht)
Let’s party!
Das ist etwas unpassend. Doch das scheint in der Bibel ein Muster zu sein. Gott lädt in den unmöglichsten Momenten und an den unwirklichsten Orten zum Feiern ein: Beispielsweise, wenn der Feind in Sichtweite ist (Psalm 23,5), wenn der Sohn zurückkommt, der den ganzen Besitz an die Wand gefahren hat (Lukas 15,30) oder spontan mit wildfremden (u.a. bösen!) Menschen von der Strasse, weil die geladenen Gäste verhindert sind (Matthäus 22,10).
Wir sehen unsere Unzulänglichkeiten, Gott sieht nur, dass er den Preis für deine und meine Schuld bezahlt hat und das dies ein Grund für ein Fest ist. Das klärt das Verhältnis, das wir zu Gott pflegen sollen: Ein Verhältnis, das von einer bedingungslosen Liebe bestimmt ist und nicht von einem Leistungsprinzip.
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Gott hat mir das in einer Alltagsbegebenheit eindrücklich erklärt: Als eine Kollegin umziehen wollte, habe ich mich (vermutlich aus Faulheit) vor der Mithilfe gedrückt, während meine WG-Mitbewohner alle mithalfen. Als die Kollegin zum Dank ein Helferessen veranstaltete, hat sie mich miteingeladen. Ich war zutiefst beschämt ab dieser Einladung, und fühlte mich am Tisch unter all den Ehrwürdigen fehl am Platz. Sie hat mich aus Freude eingeladen. Genau so setzt uns Gott an seinen Tisch: Irgendwie scheinen wir nicht hierher zu gehören, doch Gott möchte uns einfach dabeihaben. Freude an dir ist eine Priorität für ihn.
Eine schützende Mauer
Wenn mich meine Unzulänglichkeiten erdrücken, lädt Gott mich ein, zu feiern, einfach mit ihm zu sein. Und für diesen ausgelassenen Gastgeber, der mich aufnimmt, und über meine Schuld hinwegsieht, entsteht das, was ich «Freude am Herrn» nenne. Es ist die Zuversicht, einen souveränen Herrn zu kennen, der gleichzeitig mein Freund sein will. Und wenn diese Freude am Herrn mein Herz erfüllt, bin ich ein anderer Mensch: Die Selbstbezogenheit verschwindet, mein Herz ist gesättigt. Ich muss nicht mehr so oft an mich denken, und fange an zu lieben. Esra nennt die Freude am Herrn vermutlich deshalb (je nach Übersetzung) «Stärke», «Burgfestung» oder «schützende Mauer». Eine tiefe Zuversicht prägt mein Denken; was vorher ein Problem war, wird jetzt unendlich klein.
Wichtige Randbemerkung: Was ich beschrieben habe, hat nichts mit gestellter Freude zu tun und ich bin nicht gegen Gefühle wie Trauer und Wut. Nur wenn diese Gefühle akzeptiert und ausgelebt werden, kann überhaupt ein Ort entstehen, wo Gott uns mit seiner Party trösten und echte Freude hervorkommen kann.
Zum Abschluss ein Lied, das mir während dem Schreiben dieses Artikels in den Sinn gekommen ist und für mich so eine himmlische Feststimmung widerspiegelt: "He is faithful" von Bryan und Katie Torwalt. Denk während dem Hören dieses Songs darüber nach: Möchtest du Gottes Ruf zur Party folgen?