Ist eine Abtreibung der einzige Ausweg für eine ungewollt schwangere Frau? Machen wir es uns damit als Gesellschaft nicht zu einfach?
Nachdem ich in den vergangenen zwei Artikeln auf die wissenschaftliche Sicht auf das ungeborene Leben und die ideologischen Hintergründe der Abtreibungsbefürworter eingegangen bin, möchte ich in diesem letzten Artikel Anstoss geben zu einem neuen Umgang mit Menschen, die mit einer ungewollten Schwangerschaft konfrontiert sind. Auch hier dienen mir als Grundlage Aussagen von zwei Kaderärztinnen des Universitätsspitals Zürich - die beiden argumentieren im Interview mit der NZZ nämlich dafür, "unverkrampfter" mit Abtreibungen umzugehen und Betroffene einfach selbst entscheiden zu lassen. Denn, so sagen sie:
"Ein Verbot löst das Problem nicht"
Ein viel vorgebrachtes Argument: "Es ist besser, dass Frauen einen Schwangerschaftsabbruch in der Schweiz mit unserem hohen medizinischen Standard durchführen, als dass dies unter dubiosen Bedingungen irgendwo geschieht." Oder in den Worten von Frau Dr. Betschart:
"Wenn Abtreibungen illegal sind, heisst es nicht, dass es keine gibt. Frauen, die ungewollt schwanger sind, führen den Abbruch so oder so durch."
Es stimmt: Ein Verbot ist nie eine Lösung eines Problems. Es ist vielmehr die Formulierung eines Standards, dessen Missachtung schädliche Konsequenzen hat. (Dasselbe gilt übrigens auch für die berühmten 10 Gebote aus der Bibel.) Man könnte geradeso gut argumentieren, dass Höchstgeschwindigkeits-Vorschriften nichts bringen, da trotzdem zu schnell gefahren wird. Doch wir wissen: Wer unverhältnismässig schnell fährt, gefährdet andere Leben. Die Autonomie des Einzelnen hat aus gutem Grund ihre Grenzen. Diese Grenzen lösen ein Problem nie, sie machen es nur sicht- und greifbar. Somit löste auch ein Verbot von Abtreibungen die zu Grunde liegenden Probleme natürlich nicht, aber es hielte das damit verbundene Unrecht klar und deutlich fest. Auf dieser Basis hätten wir als Gesellschaft die Möglichkeit, vorwärtsgerichtete Hilfe für Mutter und Kind bereitzustellen, so dass die Durchsetzung des Verbots durch die Justiz in möglichst wenigen Fällen nötig sind und "Not-Abtreibungen" unter gefährlichen Bedingungen Ausnahmefälle bleiben.
Bleibt die Frage: Wie sieht denn Hilfe für Menschen aus, die mit einer ungewollten Schwangerschaft konfrontiert sind? Für vielleicht überrumpelte und mit der neuen Lebensrealität überforderte junge Frauen (und Männer)? Dafür habe ich keine abschliessende Antwort - wir müssen uns wohl zuerst ernsthaft auf den Weg machen, ganzheitliche Hilfe leisten zu wollen. Klar ist: Darüber zu wettern bringt nichts. Und hier stimme ich mit dem nächsten Argument voll und ganz überein.
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"Druck und Verurteilung machen die Situation nur noch schlimmer."
Dieser Vorwurf zielt in erster Linie an die "Gegner", welche am Tag des «Marsch fürs Läbe» in der NZZ in zweifelhaftem Lichte portraitiert wurden. Wieder in den Worten von Frau Dr. Betschart:
"Angst und Fehlinformationen zu verbreiten und Betroffenen, die bereits unter enormem Druck stehen, zusätzlich Schuld aufzuladen, ist sehr problematisch."
Ich stimme dieser Aussage in aller Deutlichkeit zu. Insbesondere macht es mich wütend, wenn Fehlinformationen und Halbwahrheiten zur "Aufklärung" genutzt werden - notabene von beiden Seiten. Umstritten sind beispielsweise die Folgen einer Abtreibung auf die psychische und physische Gesundheit der Frau. Wer hierzu recherchiert, wird auf unterschiedliche Darstellungen des aktuellen Kenntnisstandes stossen und beide Lager untermauern ihre Meinung mit mehr oder weniger repräsentativen Studien und Metaanalysen. Abtreibungsbefürworter sagen, dass es keinen statistisch relevanten Zusammenhang zwischen Abtreibungen und z.B. Depressionen gebe - Frauen, die abgetrieben haben, gehe es psychisch weder besser noch schlechter als Frauen, die ein (zumindest anfänglich) ungewolltes Kind zur Welt gebracht haben. Eine Abtreibung sei also aus diesem Blickwinkel absolut unbedenklich.
Nun - selbst falls dem so ist, frage ich mich: Was hat denn die Abtreibung gebracht? Wäre es nicht gleichzeitig auch ein Beweis dafür, dass das Austragen und Aufziehen eines ungewollten Kindes keine unzumutbare Belastung für die Frau bzw. die Eltern darstellt? Wird eine Abtreibung nicht eben gerade oft mit dieser Unzumutbarkeit begründet, damit, dass ein Kind das Leben der Eltern wohl zu sehr aus der Bahn werfen würde?
Wer sind wir denn, dass wir glauben das Recht zu haben, dass unser Leben in geordneten Bahnen verläuft? Dass die Verhütung immer funktioniert? Ich erlaube mir noch einmal die Frage: Ist es denn ethisch haltbar, dass die ungeborenen Kinder den Preis dafür bezahlen müssen, damit wir die Illusion eines planbaren Lebens und einer kompletten Autonomie aufrechterhalten können?
Und wo sind eigentlich die Studien, welche belegen, dass eine Abtreibung einen nachhaltigen positiven Effekt auf das Leben der betroffenen Frauen und Paare hat? Die Argumentation der Befürworter setzt meines Erachtens immer voraus, dass es offensichtlich und selbsterklärend sei, dass die uneingeschränkte Selbstbestimmung zum besten und glücklichsten aller Leben führe. Warum beschränken sich denn einschlägige Studien vor allem darauf, negative Folgen für die psychische Gesundheit der Betroffenen abzustreiten? Wäre es nicht überzeugender, die positiven Effekte herauszuarbeiten und zu belegen, anstatt sich damit zu begnügen, dass Frauen, die abtreiben, zumindest nicht schlechter dran sind als solche, die sich für das ungeplante Kind entschieden haben?
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Die hinter dem Vorwurf des Drucks verborgene Forderung, nämlich dass man den Wunsch nach einer Abtreibung bitteschön nicht infrage stellen dürfe, lässt mich erschaudern. Als ob eine Abtreibung in einer solchen Situation die einzige Alternative wäre? Als ob es in so einer Situation unweigerlich nötig sei, dass der ungeborene Mensch den Preis bezahlen muss?
Wo ist die echte Hilfe für Frauen und Paare in einer schwierigen Lebenssituation, in welcher eine Abtreibung wohl als der einfachste und direkteste Weg aus der Misere erscheint?
Ich glaube: Mit der heutigen Gesetzgebung bietet die Abtreibung eine zu einfache "Lösung", einen zu einfachen "Ausweg" im Falle einer ungewollten Schwangerschaft. Ich will damit keinesfalls suggerieren, dass betroffene Frauen und Paare ihn deshalb leichtfertig treffen. Doch der Druck vom Partner, von Eltern oder schlicht von der "Gesellschaft" als Ganzes (z.B. in Bezug auf die "verbockte" Karriere) ist gross. "Du kannst ja abtreiben" heisst es dann mehr oder weniger explizit, "sonst bist du eben selbst schuld." Wie können wir von den betroffenen, meist jungen Frauen, erwarten, dass sie diesem Druck standhalten? Wer hilft ihnen bei dieser schwerwiegenden ethischen Entscheidung, ohne einen faulen Kompromiss auf Kosten des schwächsten Glieds der Gesellschaft einzugehen? Wer zeigt Perspektiven auf, mit der plötzlichen, vielleicht überfordernden Verantwortung klarzukommen, anstatt der Schwangerschaft und damit einem lebendigen Menschen ein jähes Ende zu bereiten?
Sicher: Echte Hilfe anzubieten ist nicht der einfachste Weg. Echte Hilfe erfordert echtes Interesse für den Menschen, die Situation, die Umstände. Echte Hilfe ist nicht gratis. Sie kostet den Helfenden, sie kostet uns als Gesellschaft. Solange wir als Gesellschaft jedoch den Schutz des Lebens geringer achten als die Aufrechterhaltung unserer Illusion von sexueller Autonomie, so lange wird den Betroffenen in ihrer schwierigen Situation die Beendigung des noch jungen Lebens als die einzige Möglichkeit erscheinen, dem unerträglichen Druck ein Ende zu bereiten.
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Mit dieser Forderung spreche ich - nebst der Gesellschaft als Ganzes - auch ganz bewusst uns Christen und Kirchen an. Zu oft werden Menschen in unseren Reihen stigmatisiert, anstatt dass ihnen echte Hilfe zuteil wird. Ja, insbesondere wer ausserehelich schwanger wird, hat im Lichte der traditionellen christlichen Sexualethik Fehler gemacht. Doch sind Fehler per se ein Problem? Hat Gott ein Problem damit, dass wir Fehler machen? Oder ist seine Gnade nicht vielmehr ein Angebot und eine Perspektive für uns durch und durch fehlerbehafteten Menschen? Die Gnade Gottes wird niemals durch ein moralisch einwandfreies Leben verdient - das Angebot von Gottes Gnade gilt bedingungslos für jeden Menschen.
Ich glaube, dass wir auch in dieser ganz speziellen Thematik eine Verantwortung tragen, Menschen in widrigen Umständen zu einer hoffnungsvollen Perspektive zu verhelfen. Sowohl Menschen, die sich mit einer ungewollten Schwangerschaft konfrontiert sehen, als auch Menschen, welche sich bereits für eine Abtreibung entschieden haben und diesen Entscheid rückblickend bereuen oder mit Schuldgefühlen kämpfen.
Ja, Druck und Verurteilung machen die Situation nur noch schlimmer. Ich entgegne: Eine Abtreibung macht die Situation nicht besser. Dafür wäre echte Hilfe und Unterstützung nötig. Wer wagt es?
Mein Wunsch
Ich wünsche mir, dass wir uns als Gesellschaft der Debatte über fundamentale ethische Fragen, über Leben und Tod, nicht verschliessen.
Ich wünsche mir, dass wir uns nicht mit ideologischen Argumenten die Köpfe einschlagen, sondern den Fragen auf den Grund gehen. Dass sich diejenigen, die sich eine weniger fundamentalistisch und ideologisch aufgeladene Debatte wünschen, auch den Mut haben, den wissenschaftlichen Fakten ins Auge zu sehen und daraus die ehrlichen Konsequenzen zu ziehen. Und dass wir zugeben, wo die Faktenlage unklar ist, anstatt zu unseren Gunsten zu pauschalisieren.
Ich wünsche mir, dass dem Schutz des menschlichen Lebens der höchste Wert in unserer Gesellschaft und Gesetzgebung eingeräumt wird, auch wenn es noch unsichtbar im Mutterleib schlummert.
Ich wünsche mir, dass wir als Gesellschaft wieder Respekt finden vor der Fortpflanzungskraft unserer Sexualität und dies in unseren Umgang mit der Sexualität mit einbeziehen.
Ich wünsche mir weiter, dass Betroffene in schwierigen Situationen echte Hilfe erfahren, anstatt zur "einfachen Lösung" gedrängt zu werden. Verschiedene Organisationen sind hier bereits vorangegangen, doch ich denke, das Netz an Anlaufstellen muss breiter und engmaschiger werden. Ich wünsche mir, dass es in Zukunft gesellschaftlich akzeptiert und sogar angesehen ist, in einer schwierigen Situation eine Entscheidung für das Leben und damit evtl. gegen den zurechtgelegten Lebensentwurf zu wagen. Verantwortung zu übernehmen muss an Coolness gewinnen.
Nicht zuletzt wünsche ich mir, dass die Betroffenen echte und praktische Hilfe auch vermehrt in unseren Kirchen erfahren dürfen - als Ausdruck der bedingungslosen Liebe und Gnade Gottes.
Und du?
Was wünschst du dir? Bist du einverstanden, oder auch nicht? Bin ich als Mann zu weit gegangen - habe ich überhaupt etwas zu diesem "Frauenthema" zu sagen? Ich freue mich auf deinen Kommentar!
Einen vertieften Einblick in die Thematik bietet das Buch «Love thy Body» von Nancy Pearcey, welches kürzlich auch auf Deutsch unter dem Titel «Liebe deinen Körper» erschienen ist.