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Wo drückt der Schuh?

Joanna Hunziker-Merk Joanna Hunziker-Merk

"Wo drückt der Schuh?" Meine Schuhe drücken immer mal wieder doch es ist ja auch eine rhetorische Frage, eine Redewendung und bezieht sich auf Sorgen und Kummer.

Unsere Tochter kann nun laufen und macht dies am liebsten in ihren weichen Lederfinken. Als ich ihr dann die warmen Winterschuhe anziehen wollte, blieb sie bockstill stehen... dann zog sie die Schuhe wieder aus. Ich dachte: "Mit Schuhen zu laufen muss gelernt sein!" Und irgendwann lief sie dann doch auch mit den Winterschuhen ein paar Schritte, aber nur im Haus. Doch dafür sind Winterstiefel nicht gemacht. Es liess mir keine Ruhe und so ging ich ins Schuhgeschäft und liess ihre Füsse und die Schuhe ausmessen. Die nette Dame meinte: "Diese Schuhe sind schlicht viel zu klein!" Oh Schreck! Ich Rabenmutter...nun hat sie gefütterte, weiche Lernlaufschuhe mit silbernen Sternen und läuft mir davon! Wie schön, der Schuh drückt nicht mehr.

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Ein Vers in meinem Umklapp-Sprüche-Kalender lautet:

Drei Wünsche
Die Gelassenheit, alles das hinzunehmen, was nicht zu ändern ist, die Kraft zu ändern, was nicht länger zu ertragen ist und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Ich dachte: "Den Spruch kenne ich!" Doch dann las ich ihn nochmals und merkte, dass ich ihn anders kenne:

Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Das zweite Zitat stammt vom Theologen Reinhold Niebur. Wer das Zitat in meinem Kalender geschrieben hat, steht da nicht.

Es sind sehr ähnliche Zitate und doch sind da einige wenige Worte, die den Unterschied machen. Und das hat mich zum Nachdenken angeregt.
Nicht ändern können. Nicht länger ertragen können.

Die Kraft zu ändern, was nicht länger zu ertragen ist.

Wir Menschen ertragen sehr viel, oft zu viel. Weil wir denken, dass wir es nicht ändern können und bitten immer wieder um Kraft, um in der Situation zu bestehen. Wir stehen mit dem Rücken zur Wand, sind in der Sackgasse gelandet, sehen keinen anderen Weg, als auszuharren. Doch anstatt um Kraft zu bitten, es zu ertragen, gäbe es auch die Möglichkeit, um Kraft zu bitten, um es zu verändern! Einfacher geschrieben als getan.

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Photo by Ibrahim Rifath / Unsplash

Merken wir denn überhaupt, wenn etwas nicht mehr erträglich ist? Wir es nicht mehr länger tragen können? Spüren wir es in unserem Körper vielleicht? Oder in der bedrückten Seele? In der fehlenden Lebensfreude und der endlosen Müdigkeit?
Wenn der Schuh drückt, tragen wir Sorgen und Kummer mit uns herum, den man uns nicht ansieht. Denn wer sieht schon von aussen, wo der Schuh drückt? Niemand. Und das ist mit diesem Sprichwort gemeint. Nur wir selbst merken und spüren, wo der Schuh drückt und laufen damit immer weiter und weiter. Denn barfuss zu gehen ist oft keine Option. Ersatzschuhe dabei? Selten bis nie.

Seit letztem Sommer gehe ich die Physiotherapie wegen meinen Verspannungen am Nacken, Rücken und am ganzen Schultergürtel. Jemand sagte mir: "Du trägst zu viel!" Das weiss ich selbst, doch ich muss tragen! Mein Baby, das bis vor kurzen noch nicht laufen konnte, und meinen behinderten Sohn. Denn unsere Wohnung ist nicht rollstuhlgängig und oft bewegt er sich selbst fort, aber eben nicht immer. Und dann sind da ja noch "die anderen Dinge", die Mann und Frau tragen. Verantwortung, Situationen im Umfeld, am Arbeitsplatz, belastende Ereignisse, Erlebtes, unerfüllte Wünsche und Träume.

Ich gebe Herr Niebur recht, dass es Dinge gibt, die sich nicht ändern lassen. Und ich habe Hochachtung vor allen Menschen, die in solchen Situationen leben und ausharren, geduldig bleiben und dankbar sind.

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Photo by Jia Ye / Unsplash

Der Gedanke, dass es eben Dinge gibt, die wir nicht länger zu ertragen vermögen, der lässt mich nicht los. Wie schnell verwechseln wir das eine mit dem anderen und glauben gar nicht mehr daran, dass es eine Möglichkeit der Veränderung gibt? Uns einfach die Kraft dazu fehlt? Den Mut, die Schuhe auszuziehen, zum Schuhmacher zu gehen und sie ausklopfen zu lassen oder eine Innensohle zu besorgen? Es sind oft kleine Schritte und es müssen nicht gleich neue Schuhe sein! Es braucht Mut, genau hinzuschauen, jemanden hineinsehen zu lassen und es beim Namen zu nennen. Auszusprechen, dass der Schuh drückt, wo er drückt und dass es so nicht mehr weitergehen kann. Es lohnt sich, weil es befreit und es lässt sich dann besser durchs Leben gehen!

Wo drückt dein Schuh? Ich weiss, wo meiner drückt und ich bete um Kraft, es zu ändern und hole mir praktische Hilfe. Was machst du?

Wo drückt der Schuh?
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