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Richter oder Retter?

Josua Hunziker Josua Hunziker

Gott, der unfehlbare Richter über Gut und Böse. Eine Vorstellung, die Unbehagen auslöst? Nicht unbedingt.

Wir alle kennen das Böse. Wir alle sind uns einig, dass es existiert. Menschen umzubringen, zu quälen und zu foltern ist böse. Menschen zu vergewaltigen ist böse. Terror ist böse. Raub und Diebstahl ist böse. Aber - wo fängt das Böse an, wo hört es auf? Ist Abtreibung böse? Sie ist schliesslich unter gewissen Bedingungen gesetzlich erlaubt. Gibt es also, je nach Schwangerschaftsphase, "böse" und "gute" Abtreibungen? Ist ein Seitensprung böse? Hey, es geht hier um Liebe - der Liebe sollte man doch nicht im Weg stehen? Ist Gentechnik böse? Vielleicht kann ja der Hunger auf der Welt endgültig damit besiegt werden? Ist Fleisch essen böse? Was ist mit Flugreisen? Und Dieselmotoren?

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Photo by Alexander Popov / Unsplash

Überhaupt: Darf man heutzutage noch über "das Böse" schreiben? Schon lange bin ich dem klassischen Gegensatz von "gut und böse" nicht mehr in einer Zeitung begegnet. Man spricht von "gut  und weniger gut", von "gut und negativ", vielleicht noch von "gut und fragwürdig" und, wenn's hoch kommt, vielleicht noch von "gut und schlecht". "Das Böse" leisten wir uns vielleicht noch in Fantasyfilmen oder epischen Romanen. Woran das liegt?

Ich glaube, diesem Phänomen liegt eine tiefe Verunsicherung über das Böse zu Grunde. Wir sind verunsichert, was böse ist - die klassischen moralischen Standards scheinen aufgeweicht zu sein und ausgedient zu haben. Gleichzeitig muss man nur einen Blick in die abendlichen Nachrichten werfen um sich darüber klar zu werden, dass der Glaube an "das Gute im Menschen" zwar hoffnungsvoll sein mag, sich jedoch an allen Ecken und Enden zeigt, zu welchen Grausamkeiten wir Menschen fähig sind. Das Böse ist real und es gibt unzählige Menschen auf dieser Welt, die genau jetzt unschuldig darunter leiden. Warum scheint sich das Böse dann trotzdem so hartnäckig einer klaren Definition zu entziehen? Warum gibt es so viele Grauzonen, wo wir oft hilf- und ratlos nach Orientierung suchen?

Der Fluch

Das Dilemma begann schon, kurz nachdem Gott die ersten Menschen geschaffen hatte: Wir lesen in der Bibel, dass die ersten Menschen im Paradies von Satan in Gestalt einer Schlange mit folgenden Worten verführt wurden:

An dem Tage, da ihr davon [von der Frucht der Erkenntnis] esst, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist. (1. Mose 3, 5b)

Moment mal - dieses Versprechen hat sich offensichtlich nicht erfüllt. Obwohl Adam und Eva auf den Deal eingegangen sind und von der Frucht gegessen haben, fällt uns die Unterscheidung zwischen Gut und Böse doch immer noch so schwer. Ein Beweis, dass die Bibel unrecht hat? Mitnichten! Diese Aussage kommt ja laut der Erzählung vom Bösen selbst, von Satan persönlich - sie kann nur eine Lüge sein. Wir müssen uns also fragen, warum diese Lüge für Adam und Eva so verführerisch war, warum sie darauf einstiegen.

Wie unterschieden sie denn vorher, was gut und böse war? Wie fällten sie ihre Entscheidungen? Ganz einfach: Sie haben sich auf das Urteil eines Anderen verlassen - auf die Definition ihres Schöpfers. Die Lüge der Schlange war also eigentlich eine Verheissung von Unabhängigkeit: "Esst von dieser Frucht, und ihr werdet endlich unabhängig von diesem Gott leben können. Ihr müsst niemanden mehr fragen, wie ihr leben sollt, was denn nun nützlich oder schädlich ist - ihr werdet diese Entscheidung ganz alleine fällen können."

Kaum haben Adam und Eva von der Frucht gegessen, beginnen sie, von ihrer neu gewonnenen Fähigkeit der Beurteilung Gebrauch zu machen: "Eva, wir sind ja splitternackt! Ich glaube nicht, dass das gut ist..." Der Mensch begann, zu beurteilen, und bis heute sind wir angehalten - ja, geradezu gezwungen - über alles und jeden unser Urteil zu fällen: "Findest du das schön?" "Denkst du nicht, du solltest etwas abnehmen?" "Was hältst du eigentlich von Tatoos?" "Kann man Fleischkonsum überhaupt noch verantworten?" Die gewonnene Autonomie von Gottes Urteil entpuppte sich rasch als Fluch, denn: Wir sind zwar gezwungen für uns selbst zu entscheiden, gleichzeitig fehlt uns aber das nötige Sensorium, Gut und Böse zu unterscheiden. Wir wissen oft einfach nicht, was in einer gewissen Situation gut und was böse, was nützlich und was schädlich ist.

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Photo by Darius Bashar / Unsplash

Ich möchte an dieser Stelle eine einfache, aber nützliche Definition des Bösen wagen: Wenn Gott gut ist, wenn er uns geschaffen hat und uns liebt, dann ist das Böse ganz einfach das, was dem Fluss von Gottes Güte im Weg steht. Wenn wir davon ausgehen, dass Gott die Quelle des Guten ist, dass Er seine Güte den Menschen zugänglich machen will, dann ist das Böse all das, was verhindert, dass Gottes Güte den Menschen widerfahren kann. Oder anders gesagt: Das Böse ist die Abwesenheit oder die Verhinderung des Guten.

Wie hilft uns das in unserem Dilemma weiter? Woher wissen wir nun, was das Gute in einer bestimmten Situation ist? Schliesslich enthält weder die Bibel noch sonst ein Buch eine exakte Beschreibung des richtigen Verhaltens in jeder Situation unseres Lebens. Wie können wir unterscheiden, welche Entscheidung den Fluss der Güte fördert und welche ihn hindert oder gar verhindert?

Nun - warum fragen wir nicht einfach Gott selber? Gott schuf den Menschen zur Gemeinschaft mit ihm, nicht zur Unabhängigkeit von ihm. Der Mensch ist designt für die Abhängigkeit und die innige Beziehung zum Schöpfer. Darum fehlt uns das Sensorium zur Entscheidung: es war uns schlicht nie zugedacht, zwischen Gut und Böse selbst unterscheiden zu müssen. Wir sind geschaffen, Gott zu vertrauen, mit Ihm in Beziehung zu leben. Das ist der Kern unseres Designs, die tiefste Bedeutung unseres menschlichen Daseins. Die Beziehung zu Gott kann den Fluch unserer Autonomie aufheben - wir dürfen aufhören, selbst zu beurteilen, und Ihm die Beurteilung wieder überlassen. So viel Überwindung uns dieser Schritt in die Abhängigkeit kosten mag, so befreiend wird er sich auf unser Leben auswirken!

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Photo by Derek Thomson / Unsplash

Ein einzigartiger Richter

Kommen wir zurück zur Vorstellung von Gott als unfehlbarem Richter über Gut und Böse. Warum flösst uns dieses Bild oft eher etwas Angst ein? Wohl weil wir uns unserer Unfähigkeit, verlässlich zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, sehr wohl bewusst sind. Vor einen Richter zu treten ist sehr unangenehm, wenn ich nicht genau weiss, ob meine Argumente, welche ich zu meiner Verteidigung vorbringe, vor dem Gesetz bestehen werden. Und noch viel unangenehmer ist es, wenn ich von Anfang an weiss, dass ich laut Gesetz schuldig bin - ein unfehlbarer Richter wird sich von allen juristischen Tricks und geschliffenen Plädoyers nicht blenden lassen.

Der biblische König David kam in genau einer solchen Situation vor seinen göttlichen Richter: Sozusagen am moralischen Tiefpunkt seines Lebens. Er hatte eine Affäre mit der Frau eines seiner treusten Männer, und er hatte ebendiesen Mann umbringen lassen um die ganze Sache zu vertuschen. Durch einen Propheten mit dieser Schuld konfrontiert, schreibt David einen seiner bekanntesten Psalmen: Psalm 51. Und es ist erstaunlich, mit welcher Haltung David vor seinen Richter tritt:

Sei mir gnädig, o Gott – du bist doch reich an Gnade! In deiner großen Barmherzigkeit lösche meine Vergehen aus! Wasche meine Schuld ganz von mir ab, und reinige mich von meiner Sünde! Denn ich erkenne meine Vergehen, und meine Sünde ist mir ständig vor Augen. Gegen dich allein habe ich gesündigt, ja, ich habe getan, was in deinen Augen böse ist. Das bekenne ich, damit umso deutlicher wird: Du bist im Recht mit deinem Urteil, dein Richterspruch ist wahr und angemessen.  (Psalm 51, 3-6 - NGÜ)

David bittet im ersten Satz um Gnade, er appelliert geradezu an das gnädige Wesen seines Richters. Und aufgepasst: Wer um Gnade bittet, gibt damit auch seine Schuld zu. Ja, David macht es in Vers 6 noch ganz explizit: "Du bist im Recht mit deinem Urteil, dein Richterspruch ist wahr und angemessen." David gesteht damit Gott das alleinige Recht zu, über Gut und Böse zu urteilen. Er sagt gleichsam: "Ich habe in dieser Situation völlig am Guten vorbei gehandelt. Ich habe die Geschichte total vermasselt, ich habe dich nicht um deinen weisen Richterspruch gefragt. Sei mir gnädig - ich will dir und deinem Urteil ab jetzt wieder voll und ganz vertrauen." David wusste um das einzigartige Wesen seines göttlichen Richters: Gott ist ein Richter, der Gnade anbietet.

Dem Richter vertrauen

Es stimmt, dass Gott hohe moralische Standards setzt - sie dienen unter anderem dazu die Menschen vor dem Bösen zu schützen. Da Er jeden Menschen vollkommen liebt, will Er jedem Menschen Seine Güte in vollem Mass zuteil werden lassen. Somit ist es aus der Sicht des Schöpfers absolut intolerabel, wenn Menschen sich selbst und gegenseitig den Zugang zu seiner Güte und seinem Segen verwehren. Wer diesem hohen Standard, der Güte Gottes niemals im Weg zu stehen, nicht genügen kann, ist vor Gott schuldig geworden.

Das heisst im Klartext: Wir alle sind schuldig vor Gott, denn wie bereits beleuchtet, fehlt uns Menschen schlicht und einfach das nötige Sensorium um in jeder Situation zu erkennen, was gut und was böse ist. Doch Gott bietet uns allen eine vollumfängliche Begnadigung an. Einen kompletten Schuldenschnitt. Die einzige Frage ist: Wie ist Deine Wahl? Nimmst du die Begnadigung an, gestehst damit gleichzeitig wie David deine Schuld ein und wählst die vertrauensvolle Beziehung zu Gott? Oder wählst Du die Autonomie, die Unabhängigkeit von Gott und bestehst auf damit auf deinem Recht, selbst über Gut und Böse entscheiden zu können?

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Photo by Vladislav Babienko / Unsplash

Gott ist ein gnädiger, aber auch ein gerechter Richter. Sein Angebot der Gnade steht - es ist mit der Möglichkeit verknüpft, ein Leben gemäss unserem Design als Menschen in Verbindung zu Ihm zu leben. Somit kann Gott gleichzeitig Dein Richter und Retter werden und Du darfst jederzeit mutig und vertrauensvoll vor Ihn treten. Du kannst das Angebot der Gnade aber auch in den Wind schlagen - Gott respektiert die Wahl eines Menschen, unabhängig von Ihm zu leben. Du kannst weiterhin selbst über Gut und Böse entscheiden und dich wundern, warum deine Definition immer wieder mehr Probleme verursacht als sie löst. Die Vorstellung eines richtenden Gottes wird in diesem Fall zu Recht eine äusserst unbehagliche bleiben.

Wie ist deine Wahl?

Richter oder Retter?
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