/ Inspiration

Vom Perfektionismus (Teil 3)

Emanuel Hunziker Emanuel Hunziker

Perfektionismus ist eine panische Angst vor der eigenen Fehlerhaftigkeit und ein ängstliches Vermeidungsverhalten, das positive Erfahrungen verhindert.

Perfektionismus bedeutet nicht, dass Menschen Dinge gut machen, sondern dass Menschen panische Angst haben, dass sie nicht gut genug sind. Sie glauben, sie seien nicht mehr liebenswert, wenn sie einen Fehler machen.

Ich möchte die Gedankengänge des Neurologen, Psychiaters und Psychotherapeuten Raphael M. Bonelli zum Thema Perfektionismus weiter vertiefen. Bonelli ist ein bekennender Katholik aus Wien und Mitgründer des RPP-Instituts für Religiosität in Psychiatrie und Psychotherapie. Sein Anliegen:

Die Beziehung zwischen Religion und den psychologischen Wissenschaften ist traditionell schwierig und häufig von gegenseitigem Misstrauen und Unverständnis geprägt. In diesem Spannungsfeld ist es das Hauptziel des Institutes, Psychiater, Psychotherapeuten und Psychologen in ein direktes Gespräch mit Religionswissenschaftlern, Philosophen und Theologen zu bringen. Wir möchten ein tiefes Verständnis dafür vermitteln, wie der Mensch gebaut ist und was sein Leben gelingen lässt.

Dass bei diesem Unterfangen verschiedene Denkschulen und Weltanschauungen aufeinander prallen ist unvermeidlich. Ich durfte aber mit Freude feststellen, dass sich die moderne Psychotherapie – zu deren Vertretern sich auch Bonelli zählt – in ihrem therapeutischen Ansatz entschlossen von der gefühlsverabsolutierenden 68er-Ideologie löst und dem Menschen als verantwortliches Wesen begegnet. Mit diesem Menschenbild begegnet Bonelli auch dem Thema Perfektionismus.

Die Perfektionsmaske

Perfektion ist für den Perfektionisten nichts anderes als eine Maske, erklärt Bonelli, weil er Angst davor hat, in Frage gestellt zu werden. Dabei geht es ihm aber gar nicht um die Perfektion an sich, diese ist nur vorgeschoben. Der Perfektionist will tadellos sein, das heisst, nicht getadelt werden und kann deshalb auch keinen Fehler zugeben. Er wirkt dadurch unecht, künstlich, unspontan, lieblos und starr.

Perfektionismus ist eine panische Angst vor der eigenen Fehlerhaftigkeit und ein ängstliches Vermeidungsverhalten. Man will Fehler vermeiden und verharrt deshalb in einem ständigen "Nein", anstatt einfach mal drauf loszulegen mit einem "Ja" zum Leben.

Ein Vermeidungsverhalten verhindert die positive Erfahrung, eine Situation bewältigen zu können. Paul Watzlawick

Watzlawick vergleicht solches Vermeidungsverhalten humorvoll mit einem Mann, der in die Hände klatscht. Ein anderer kommt hinzu und fragt: "Warum klatschen Sie?" "Ich vertreibe Elefanten", lautet die Antwort. "Aber hier gibt's ja gar keine Elefanten", bemerkt der Zuschauende irritiert. Da entgegnet der Klatschende: "Sehen Sie, es funktioniert!"

Raphael Bonelli schreibt in seinem Buch über Perfektionismus

Perfektionisten stolpern letztlich über die eigenen Beine. Es passiert ihnen oft genau das, was sie ängstlich abwehren wollen. Sie sind innerlich unsicher– und dadurch unfrei und getrieben. Ihre innere Unfreiheit agieren sie oftmals nach außen aus und beengen damit ihre Umgebung. Sie sind Gefangene, eingekerkert in sich selbst.

Perfektionismus reduziert den Menschen auf seine (fehlerlose) Funktion, auf seine (tadellose) Leistung. Der Mensch wird im perfektionistischen Denkmodell unausgesprochen und vielleicht auch unbewusst zur Maschine und seine Psyche zum Apparat. Doch der Mensch ist keine Maschine, kein seelenloser Roboter. Wir haben kein Uhrwerk in uns, das uns fehlerlos antreiben muss.

tamara-gak-1vZAezBEADw-unsplash-Kopie-4
Photo by Tamara Gak / Unsplash

Nutzlose Ratschläge

Der naheliegendste Ansatz scheint der Rat an einen Perfektionisten zu sein, er solle halt seine Ziele nicht so hoch stecken. Ein bisschen weniger tut's doch auch. Was gut gemeint ist, zeigt aber in der Praxis kaum Wirkung. Denn die hohen Ideale sind gar nicht das Problem. Der Mensch braucht hohe Ideale, um sich entfalten und entwickeln zu können.

Ein anderer Ansatz, der gerne empfohlen wird, ist das Pareto-Prinzip, auch Pareto-Effekt oder 80-zu-20-Regel genannt. Sie besagt, dass 80 % der Ergebnisse mit 20 % des Gesamtaufwandes erreicht werden. Die verbleibenden 20 % der Ergebnisse erfordern mit 80 % des Gesamtaufwandes die quantitativ meiste Arbeit. Doch auch dieser Ratschlag hinkt. Denn wer würde seinem Automechaniker sagen, er solle die Bremsen so reparieren, dass sie in 80% der Fälle funktionieren? Oder dem Heizungsinstallateur, er solle schauen, dass die Heizung an 80% der kalten Tage heizt. Das funktioniert so nicht. Denn gut gemachte Arbeit zu liefern ist eine erstrebenswerte Sache und so im Wesen des Menschen verwurzelt.

Warum Michaelangelo kein Burn-out hatte

Als Michaelangelo die David-Skulptur aus einem einzigen Marmorblock meisselte, sagte er nicht bei 80%: "Na, das passt schon. Der sieht in etwa aus wie David." Nein, er vollendete sein Kunstwerk bis zum Ende. Er erschuf damit die erste Monumentalstatue der Hochrenaissance. Sie gilt als die bekannteste Skulptur der Kunstgeschichte.

Warum erlitt Michaelangelo dabei kein Burnout? Der Druck zu versagen müsste doch enrom gewesen sein? Die entscheidende Frage lautet: Wer oder was stand im Vordergrund seiner Arbeit? Das Kunstwerk oder der Künstler? Die Antwort lautet: Im Vordergrund stand sein Kunstwerk, die Davidstatue. Der Künstler Michaelangelo trat hinter sein Kunstwerk zurück und stellte sein Kunstwerk in den Fokus seiner Arbeit.

Was aber passiert, wenn der Künstler im Vordergrund steht? Dann hätte sich Michaelangelo bei seiner Arbeit ständig gefragt: "Was werden wohl die anderen von mir denken? Wie werde ich bei den anderen ankommen mit meiner Kunst? Werden sie mich dafür wertschätzen?" Solche Gedanken deuten stark darauf hin, dass das Ich des Künstlers im Zentrum steht und nicht die Sache an sich, das Kunstwerk. Und genau das ist der springende Punkt, der den grossen Unterschied macht. Hohe Ideale anstreben und leidenschaftlich viel dafür arbeiten ist nicht das Problem. Doch wer seinen Wert als Mensch vom Ergebnis abhängig macht, gerät in eine zerstörerische Negativspirale.

Das Ich oder die Sache?

Der Individualpsychologe Alfred Adler beschrieb den Menschen auf einer Achse zwischen Gemeinschaftsgefühl und Geltungsstreben. Ersteres ist sehr gesund, weil der Mensch zur Gemeinschaft und Beziehung mit anderen Personen geschaffen ist. Geltungsstreben hingegen beschreibt jemanden, der sich nicht in eine Gemeinschaft hineingeben will, weil er herausragend sein will, aus Angst, in der durchschnittlichen Masse der Allgemeinheit aufzugehen.

Adlers Schüler Fritz Künkel verschärfte die Theorie seines Lehrers, indem er Adlers Begriffe mit eigenen Worten beschrieb: sachliches Denken und ichhaftes Denken. Der Sachorientierte denkt an die Sache, der Ichhafte kreist in seinen Gedanken angstvoll um sich selbst. Angst ist die treibende Kraft des Perfektionisten.

Der US-amerikanische Psychologe Gordon Allport spricht in diesem Zusammenhang von intrinsischer und extrinsischer Motivation. Intrinsisch (von innen her kommend) bedeutet, ich bin ganz bei der Sache, beim Kunstwerk. Extrinsisch (von aussen her angeregt) bedeutet, ich frage mich ständig, was wohl die anderen sagen und ob sie mich wohl wertschätzen. Allport sieht diesen Unterschied auch bei religiösen Menschen. Die einen gehen aus einer inneren Glaubens-Überzeugung in die Kirche, während für andere Gott und die Kirche nur Mittel zum Zweck sind, um sich selbst in Szene zu setzen.

tamara-gak-1vZAezBEADw-unsplash-Kopie-3
Photo by Tamara Gak / Unsplash

Die innere Ordnung

Ordnung bedeutet in diesem Zusammenhang, seine Lebenszeit nicht zu vergeuden, sich für das Wichtige immer Zeit zu nehmen, das Unwichtige hingegen kürzen oder streichen zu können, so Bonelli.

Ordnung bedeutet die Fähigkeit zu priorisieren, oft gegen die eigene Lust und die persönliche Laune – auch wenn es einem »gegen den Strich« geht. Der Perfektionist verliert sich in Nebensächlichkeiten und ist ständig im Stress, weil er zu oberflächlich denkt, zu ichhaft motiviert ist.

Es geht darum zu erkennen, dass wir endliche Wesen sind, die nicht alles machen und nicht alles erreichen können, was wir wollen. Bescheidenheit ist bei dieser Erkenntnis vonnöten, aber auch Zielstrebigkeit. Wer kein Ziel hat, dem hilft auch eine (Schein-) Ordnung nicht.

»Tu, was du sollst, und sei ganz in dem, was du tust«, ist eine klassische Handlungsanleitung, die eine starke Präsenz im Hier und Jetzt fordert, nachdem eine vernünftige Priorisierung geschehen ist.

Ordnung bedeutet, die richtigen Prioritäten zu setzen. Arbeit zum Beispiel ist nicht das (ganze) Leben. Es ist wichtig zu erkennen, welchen Stellenwert die Familie hat, welchen die Freunde, welchen die spirituellen Bedürfnisse – und nach diesen Erkenntnissen zu handeln. Der ungeordnete Perfektionist verplempert viel Zeit mit den zweitwichtigsten Dingen.

Ordnung im Zeitmanagement ist ein weiterer Punkt und bedeutet, das Richtige zur richtigen Zeit zu tun. Denn Perfektionisten tun zwar manchmal das Richtige, jedoch zur falschen Zeit. Und meist noch zu lang. Man kann ruhig hohe Forderungen an die eigene Arbeit stellen, solange sie auf eine vernünftige Arbeitszeit beschränkt ist. Wichtig ist, Prioritäten zu erkennen und die Zeit danach einzuteilen.

Imperfektionstoleranz

Imperfektionstoleranz ist das Zauberwort der Perfektionismustherapie: Der Perfektionist darf lernen, die eigene Unvollkommenheit auszuhalten.

Die Therapie besteht darin, den Perfektionisten mit seiner Realität zu versöhnen und ihn von den Ängsten zu befreien, die in ihm stecken. Dann braucht er die Maske nicht mehr, dann kann er sie sinken lassen.

Imperfektionstoleranz bedeutet die Selbstannahme mit aller Fehlerhaftigkeit, Durchschnittlichkeit und Gewöhnlichkeit. Sie bedeutet das Tolerieren der Diskrepanz zwischen "Soll" und "Ist" im eigenen Leben als gesunde Spannung, die persönliche Entwicklung erst möglich macht.

Imperfektionstoleranz bedeutet damit auch, kritisches Feedback zuzulassen. Das perfektionistische Bauchgefühl will interessanterweise gar nicht in erster Linie gut sein, sondern vielmehr tadellos. Aus Angst vor Tadel muss es unter allen Umständen vermeiden, zurechtgewiesen zu werden. Dass ein solches Verhalten unklug ist, weiss man schon seit Jahrtausenden.

Wer dazulernen will, lässt sich gerne belehren. Wer es hasst, auf Fehler hingewiesen zu werden, ist dumm. Sprüche 12,1

Wer Zurechtweisung nicht achtet, geht in die Irre. Sprüche 10,17

Wer Tadel beherzigt, wird geehrt. Sprüche 13,18

In der Tat ist die Gefahr für den Vogel Strauß nicht allein deswegen vorbei, weil er den Kopf in den Sand steckt. Zurechtweisung, Warnung, Tadel – also kritisches Feedback – auszuhalten und anzunehmen ist ein Königsweg aus der Sackgasse des Perfektionismus.

tamara-gak-1vZAezBEADw-unsplash-Kopie-2
Photo by Tamara Gak / Unsplash

Selbstannahme und Demut

Ein wichtiger Schritt zur Imperfektionstoleranz ist die Selbstannahme. Diese basiert auf einer geerdeten Selbsterkenntnis, die der christliche Philosoph Josef Pieper Demut nennt:

Demut gründet darin, dass der Mensch sich so einschätzt, wie es der Wahrheit entspricht.

Der Demütige hat es nicht mehr nötig, vor sich und den anderen Masken zu tragen: Er akzeptiert seine Defekte, sieht seine fehlerhafte Menschlichkeit. Dadurch kann aber mehr Authentizität entstehen, mit stimmigeren Begegnungen mit dem Du.

Irren ist menschlich, und Scheitern gehört zum Leben.

Es geht aber darum, durch eine Haltung der Selbstannahme mit seinem Scheitern und dem Lernen aus seinen Fehlern eben dieses Scheitern fruchtbar zu machen.

In der neueren Literatur entdeckt man die Demut als Maskenlosigkeit neu. So zeigt zum Beispiel die US-Psychologin Brené Brown in ihrer Forschung, dass Verletzlichkeit – eine Folge der demütigen Maskenlosigkeit – stark macht.

Verletzlichkeit ist die Voraussetzung dafür, dass Liebe, Zugehörigkeit, Freude und Kreativität entstehen können.

Schuldbewusstsein und Reue

Für die Imperfektionstoleranz ist es laut Bonelli entscheidend, auch ein Schuldbewusstsein zuzulassen, die Schuld nicht weiter zu verdrängen und das Gefühl der Reue aus der Entscheidung zur Reue zu entwickeln.

Erst wenn die Ausreden und die Fremdbeschuldigung aufgegeben und dem Schuldgefühl Raum gegeben wird, kommt Veränderungspotenzial auf.

Ein aktiver Schritt Richtung Imperfektionstoleranz ist das Fehlereingeständnis und die Bereitschaft zur Bitte um Entschuldigung. Das deckt sich mit der neuen Sozialpsychologie. Hierzu schreibt Philip Zimbardo:

Wir wollen damit anfangen, das Eingeständnis von Fehlern zu ermutigen, zuerst uns selbst und dann anderen gegenüber. Sagen Sie die Zauberworte: ›Es tut mir leid‹, ›Ich entschuldige mich‹, ›Verzeih mir‹. Nehmen Sie sich vor, aus ihren Fehlern zu lernen, ein besserer Mensch zu werden.

Raphael Bonelli kommentiert diese neue Entwicklung folgendermassen:

Das sind Worte, die noch vor zehn Jahren kein Psychologe in den Mund genommen hätte.

tamara-gak-1vZAezBEADw-unsplash
Photo by Tamara Gak / Unsplash

Schlussgedanken

Bonelli beschreibt das gesellschaftliche Phänomen des Perfektionismus sehr treffend und verständlich, wie ich finde. Seine angestrebte Annäherung von Psychologie und Theologie ist vielversprechend.

Denn der heutige perfektionistische Zeitgeist ist nichts anderes, als die aktuelle Manifestation der uralten Menschheitstragödie: Der zum Scheitern verurteilte Versuch, die menschliche Scham zu maskieren und die Schuld zu verdrängen und abzuschieben. Selbsterlösung par exelance.

Wertschätzungs-Sucht, Selbsterlösung durch Leistungswahn, Schambedeckung durch Maskerade, angstvolle Ichhaftigkeit... all das finden wir schon im 3. Kapitel der Bibel.

Bonellis Lösungsansätze der modernen Psychotherapie weisen in vielerlei Hinsicht auf das Wesen von Jesus Christus hin. Jesus, der Sohn Gottes, kam nicht um uns ein Beispiel zu geben, wie wir denn idealerweise zu sein hätten. Wer sich Jesus mit diesem Bild nähert, wird in knechtender Religion enden.

Jesus tat viel mehr als das. Jesus starb am Kreuz auf Golgatha stellvertretend für uns Menschen und nahm unsere Scham und Schuld mit ins Grab. An Jesus glauben bedeutet, mit ihm zu sterben, samt meiner Wertschätzungssucht, meinem Leistungswahn und meiner Schambedeckungsmaskerade und mit Jesus zu einem neuen Leben auferweckt zu werden. Dieses neue Leben braucht keine Maskerade, weil es auf Gnade basiert.

Aus Gnade leben bedeutet, ich kann mich der Realtität meines Seins stellen. Mein Scheitern, meine Fehler, meine Defekte, meine Brüche, all das muss ich nicht mehr verstecken. Ich kann dazu stehen, weil Jesus mich weder blossstellt, noch verurteilt, sondern mich vom Perfektionismus-Wahn befreit und damit befähigt, verletzlich zu werden und dadurch Liebe, Zugehörigkeit, Freude und Kreativität zu erleben.

Das Erlösungswerk von Jesus ist höchst therapeutisch und heilsam! Ob dieses Erlösungswerk auch in mir am wirken ist, merke ich an der Kraft, die es in meinem Leben entfaltet.

Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die glauben. Römer 1,16

Leider ist der christliche Glaube in der westlichen Welt zu einer toten Regelreligion verkommen, wodurch wir uns nach anderen Kraftquellen zumsehen, die uns aber nicht befreien, sondern in neue Gefangenschaften führen. Es ist Zeit für eine Renaissance des guten, alten, unverfälschten und befreienden Evangeliums!

Johannes Hartl schrieb kürzlich in seinem Newsletter:

Je mehr ich in den letzten Jahren über Psychologie und Therapie gelesen habe, desto deutlicher wird mir, wie unglaublich relevant und effektiv das ist, wovon Jesus spricht. Weit davon entfernt, ein Set aus Regeln oder frommen Geschichten zu sein, setzt das Evangelium exakt da an, wo jeder eine tiefe Not verspürt, dem es psychisch oder in Beziehungen schlecht geht: am Sein. An der Frage, wer ich eigentlich bin und wozu es mich gibt. Und an der Stelle, wo wir uns nicht großartig fühlen, sondern eher erbärmlich und uns deshalb mit anderen vergleichen oder alles mögliche treiben, um dem Schmerz zu entkommen.

Tim Keller schreibt dazu passend:

Geliebt zu werden, ohne gekannt zu werden, ist nett, aber oberflächlich. Gekannt zu werden, ohne geliebt zu werden, ist unsere größte Furcht. Doch gekannt und geliebt zu werden ist, wie Gott liebt. Das brauchen wir mehr als alles andere.

Und nochmals Hartl:

Diese Liebe aber zu entdecken, sich ihr auszusetzen und in ihr zu wachsen, ist eine spirituelle Reise. Es ist kein dogmatischer Satz und auch keine Ansammlung von Geboten, es ist ein echter Weg. Einer, der einen selbst mit der eigenen Schwäche und mangelnden Bereitschaft zu lieben konfrontiert, zugleich aber auch mit der alles überwindenden Gnade Gottes. Im Aufeinanderprall genau dieser zwei Größen findet der Mensch die Antwort auf die wichtigsten und tiefsten Fragen seiner Existenz.

In einer guten Therapie und in der Nachfolge Jesu geht es also um erstaunlich ähnliche Fragen: Wer bin ich? Was mache ich mit meinem Scheitern? Woher kommt all der Schmerz?

Während viele Therapien aber dabei stehenbleiben, das Ego des Menschen aufzubauen (und sein Schuldbewusstsein dadurch nicht selten trüben) und (zu Recht!) darauf vertrauen, dass allein durch das Bewusstmachen schon etwas Heilendes passiert, macht Jesus wieder und wieder bei dem sein Versprechen wahr, der sich ihm ganz anvertraut: Er macht alles neu.

„Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen.“ (Mt 11,28)


Weitere Artikel zum Thema:

Vom Perfektionismus (Teil 3)
Teilen