Puzzeln ist ein Hobby und widerspiegelt gerade so einiges von meinem eigenen Leben. Ein Weg zum Ziel, ein Bild, das gemalt wurde. Teilchen, die passen oder auch nicht und vielleicht auch fehlen.
#repost: Dieser Artikel wurde am 13. September 2018 erstmals veröffentlicht.
Da ging ich am Samstagmittag noch schnell vor Ladenschluss in die Brockenstube, um einen Drehstuhl zu kaufen für unseren Sohn, der so gern darin sitzt, sein Rückzugsort für im Kindergarten. Doch statt des Drehstuhls kaufte ich ein Puzzle, völlig ungeplant, aus dem Bauch heraus. Warum? Weil mich das Bild so angesprochen hatte und weil meine Seele sagte: Mach mal Pause, mach mal wieder ein Puzzle!
Ein Puzzle mit einem gemalten Bild von London: Big Ben, rote Doppeldeckerbusse, ein blauer Mini Cooper und ein Black Cab - London pur! Dass es 1000 Teile hat und ich schon seit Jahren nicht mehr gepuzzelt habe, ausser mit unserem ältesten Sohn und seinen Kinder-Puzzles, das war mir da nicht präsent. Die Vorstellung, einfach mal Pause zu machen, zu entschleunigen und mich am Bild von London zu erfreuen, stand im Vordergrund. Irgendwie sehnte ich mich nach Pause, Timeout, nach etwas ganz anderem, als was sonst meinen Alltag bestimmt.
Puzzeln hat etwas sehr Entschleunigendes, da es nicht so schnell vorwärts geht, da es Geduld braucht, bis das richtige Teilchen gefunden wird. Es ist ein Probieren, welches Teilchen wo passt. Ein genau Hinschauen, die Form studieren und vergleichen. Es ist ein Suchen. Plötzlich passen ganz viele Teilchen und das Bild entsteht, oder dann kommt die Phase, wo keines zu passen scheint. Ich sass einen Abend lang vor dem Puzzle und kein Teilchen schien zu passen... Frust! So entschloss ich mich, mein Puzzle zu nehmen, zu meiner Freundin und Nachbarin zu gehen, die in meinen Augen eine 'Puzzle-Expertin' ist und sagte: "Machst du bitte diesen Baum, da komme ich nicht voran!"
Ich fragte sie: "Was ist denn deine Strategie? Wie gehst du da vor? Nach Farben oder Formen?" Doch ihre Antwort war simpel: "Keine Ahnung." Wie befreiend! Denn ich hatte auch keinen Plan, keine Strategie und es geht auch ohne. Vielleicht länger, aber das darf es ja. Denn für einmal ist da kein Zeitdruck, keine Deadline, kein Abgabetermin. Plan- und strategielos durchs Leben gehen, das ist so gar nicht mein Ding, das bin "so gar nicht ich". Gut, dass ich es beim Puzzeln üben kann...
Wir puzzeln, plaudern, hören Musik und entschleunigen. Sie sagt mir: "Das fertige Puzzle interessiert mit nicht wirklich, ich mag den Weg dorthin bis es fertig ist." Tönt nach Lebensweisheit! Der Weg ist das Ziel? Etwa so.
Und doch hat sie Recht. Der Weg ist das Ziel. Ein Ziel vor Augen zu haben ist wichtig und richtig und gut. Aber was ist mit dem Weg dorthin? Zählt dieser auch? Hat dieser auch seinen Wert? Ich finde schon. Und das sage ich nicht nur, weil sich mein Leben grad nicht so anfühlt, als ob ich grosse Sprünge machen kann. Eher nach Stillstand, nach Ausharren, bis wieder mehr möglich ist. Ein Schritt nach dem anderen, oder gar keinen Schritt, warten, geduldig sein, im Moment leben lernen. Das Gefühl, dass nichts geht, nichts zusammenpasst, wie beim Puzzle begleitet mich immer wieder. Doch es passt ja nicht nichts zusammen, es sind nur einzelne Teile und ein einzelnes Teil macht noch nicht das ganze Bild. Aber jedes Teil ist wichtig und gehört dazu. Irgendwann entsteht das ganze Bild und dieser Moment kommt! Geduldig sein, im Moment leben, Schritt für Schritt und gleichzeitig das Ziel, das Bild, nicht aus dem Blick lassen! Das ist gerade meine Lebensphase. Da sind offene Fragen, ungeklärte Dinge, Entscheidungen, die anstehen. Da sind Wege, die wir suchen und finden müssen, Unsicherheiten, was der nächste Schritt ist.
Als da nur noch rote Teilchen waren, um die beiden Busse fertig zu puzzeln, dachte ich ständig: "Da fehlen sicher Teilchen, das sind viel zu wenige..." So geht es mir immer wieder im Alltag: Ich habe zu wenige Hände, zu wenig Ohren und immer mal wieder zu wenig Nerven. Die roten Busse waren dann "schwups" fertig und komplett! Meine Einschätzung, dass es zu wenig Teilchen hat, war also falsch.
Als Teenager bekam ich dieses Bild von Gott: Gott ist ausserhalb von mir, er sieht mein ganzes Leben von Anfang bis Ende, alle Stationen, er hat den Überblick und er hat einen Plan für mein Leben. Ihm zu vertrauen lohnt sich, weil er um alles weiss! Er hat ein Bild gemalt, das sich Schritt für Schritt, Jahr für Jahr zusammensetzt zu meiner Biografie, meiner Geschichte, meinem Puzzlebild. Oder wie Jesus das zusammenfassend sagt: "Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben."
Mein London-Puzzle habe ich fertig, aber es fehlen tatsächlich zwei Teile. Ärgerlich? Nicht wirklich, denn so fühlt sich auch mein Leben an, es fehlen noch Teile und das ist auch gut so und okay so. Das Leben ist trotzdem lebenswert, auch wenn es nicht komplett ist, auch wenn es nicht perfekt ist, auch wenn nicht alles einfach klar ist. Das Puzzle heisst: Happy Days London. Glückliche Tage London. Ich habe schon viele glückliche Tage in London verbracht, meiner Lieblingsstadt! Happy Days, das wünsche ich mir auch für zuhause. Ich bin der Schmied meines Glücks.
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Es gibt so viele kleine und kurze Glücksmomente im Leben: Wenn mich mein Mann umarmt, obwohl ich im Schuss bin. Wenn eine Freundin vor der Tür steht und mir einen Blumenstrauss überreicht, obwohl ich nicht Geburtstag habe. Wenn unser Baby nach dem Schlafen erwacht und uns anlacht, wenn ich unseren behinderten Sohn vom Taxi abhole und er mir aus dem Autositz in die Arme springt und lacht, wenn ich unserem ältesten Sohn eine Geschichte vorlese und er aufmerksam zuhört und es so geniesst. Wenn ich mit der Vespa zur Arbeit ins Spital fahre und die Station betrete, Teil des Teams bin, das Menschen in Lebenskrisen zur Seite steht. Wenn ich im Schuhladen zum halben Preis die Pumps finde, nach denen ich lange gesucht habe. Wenn die Wohnung geputzt und aufgeräumt ist, Spielsachen und Wäsche verräumt sind.
Wenn ich während dem Singen im Gottesdienst meine Hände ausstrecke zu Gott, dann bin ich für einen Moment komplett, getragen, angenommen. Der wahre Glücksmoment.
Was sind deine Glücksmomente?
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