Arbeit spielt eine grosse Rolle in unseren Leben. Nicht umsonst beunruhigt uns die jetzige Situation. Über eine Hassliebe und was den Hass besiegt (hat).
Seine Hassliebe zur Arbeit ist fast so alt wie der Mensch selber. In Zeiten wie Corona sehnen wir uns die gewohnten Strukturen zurück, wir zappeln in den Startlöchern vor Tatendrang. Und gleichzeitig, Hand aufs Herz: Wenn Geld ab heute keine Rolle mehr spielen würde, würdest du deinen derzeitigen 'Job' mit derselben Intensivität oder überhaupt noch ausführen wie bisher? Die wenigsten Menschen können von sich behaupten, sie würden als Millionär immer noch um halb sechs aufstehen, um pünktlich im Geschäft zu sein, weil sie ihren 'Job' so sehr lieben.
Der Versuch, diesen sonderbaren Gegensatz aufzulösen, prägt den Alltag der Menschen seit Jahrtausenden. Wie sollen wir denn leben? In diesem Artikel zeige ich, dass wir jenseits vom Wochenend-zu-Wochenend-Hüpfer und Workaholiker wieder Sinn und Vision in unserer täglichen Arbeit erfahren, indem wir die Absichten unseres Schöpfers für unsere Arbeit neu entdecken.
Schweizerdeutsch auf den Punkt gebracht
Für die alten Griechen war klar: Arbeit ist ein Fluch der Götter! Dazu haben sie den Menschen erschaffen, selber haben sie es aber nicht nötig. Zu sein wie die Götter heisst demnach, diesem notwendigen Übel entweichen zu können. Für den hochgeachteten Philosophen Aristoteles war das, was wir heute „Freizeit“ nennen, gar das Hauptkriterium für ein wirklich lebenswertes Leben. Besonders körperliche Arbeit war für die Griechen, die den Verstand verherrlichten, mit einem Fluch verbunden: Umso körperlicher die Arbeit, desto schlimmer. Ein erfülltes Leben darf sich auf rein geistige Tätigkeiten beschränken – heisst konkret, über die Welt und wie sie sein soll nachdenken und sinnieren.
Der Titan Kronos (Vater von Zeus) und seine Kinder. Foto von Francisco Ghisletti / Unsplash
Diese Sicht hat Auswirkungen bis in die heutige Zeit. Wir unterscheiden zwischen „niedrigen“ und „wertvollen“ Arbeiten. Handwerkliche Arbeit als einfacher ‚Arbeiter’ ist hart und gibt wenig Lohn. Wir tun alles, um dem handwerklichen Sektor zu entfliehen oder zumindest darin aufzusteigen. Gleichzeitig beklagen wir uns, wenn andere Leute diese Arbeit übernehmen. Und wir beneiden diejenigen, deren Leben einfacher scheint als unseres. „Muess, muess, gell“, ist eine beliebte Floskel, die auch mit den Worten „es ist ein notwendiges Übel“ übersetzt werden kann. Es gibt ein englisches Wort, um diese „verfluchte“ Arbeit zu bezeichnen: Job. Immer mehr Menschen bezeichnen ihre Arbeit als Job, weil sie darin ein Unding sehen, das des Geldes wegen sein muss.
Foto von jesse orrico / Unsplash
Die Mühsal der Arbeit ist real. Es gibt kaum eine Arbeit, die nicht mit Leid, Krampf, Leergängen, Versagen, Angst, Ärger oder Enttäuschung gesäumt ist. Sogar die Bibel begründet unser Verhältnis zur Arbeit mit einem Fluch: Nachdem Adam und Eva sich von ihrem Schöpfer trennten, weil sie ihm nicht vertraut hatten, hat Gott dem Menschen die Konsequenzen aufgezeigt:
„Dein ganzes Leben lang wirst du dich abmühen, um dich (vom Ertrag des Ackers) zu ernähren. Du bist auf ihn angewiesen, um etwas zu essen zu haben, aber er wird immer wieder mit Dornen und Disteln übersät sein. Du wirst dir dein Brot mit Schweiß verdienen müssen, bis du stirbst."
- Mose 3, 17-19
Das Paradies war keineswegs ein Ort ohne Arbeit, wie aus diesem Fluch geschlossen werden könnte, im Gegenteil: Dort entstand das Wort, mit dem wir unsere Arbeit (zum Glück) zum grössten Teil noch benennen: Beruf(ung).
Nein, der Garten Eden war keine Ferieninsel. Foto von Marvin Meyer / Unsplash
Die Arbeit ist ein Ruf und das machte im Paradies den Unterschied: Der Mensch arbeitete für und mit seinem Schöpfer zusammen, bei dem er Erfolg, Bestätigung und Trost erlebte.
Gott, der HERR, brachte den Menschen in den Garten von Eden. Er gab ihm die Aufgabe, den Garten zu bearbeiten und ihn zu bewahren. 1. Mose 2, 15
Gott hat einen Garten geschaffen, der nicht perfekt war. Der Mensch sollte ihn bebauen, gestalten und verschönern. Und Gott weitete die Aufgabe für den Menschen auf die ganze Welt aus, die er geschaffen hatte:
„Bevölkert die Erde und macht sie euch untertan!“ 1. Mose 1, 28
Aus dem Verb „untertan machen“ können wir ebenfalls schliessen, dass die Erde Potential hatte, gestaltet zu werden. Der Mensch soll im Auftrag Gottes selber in den Schöpfungsprozess integriert werden. Das belegt auch die folgende Stelle:
Er brachte alle Landtiere und Vögel, die er aus dem Erdboden geformt hatte, zu dem Menschen, um zu sehen, wie er sie nennen würde. Genau so sollten sie dann heißen. 1. Mose 2, 19
Indem der Mensch der Schöpfung den Schliff gibt — zum Beispiel mit einer Namensgebung, bezieht Gott den Menschen in seine schöpferische Tätigkeit mit ein und schenkt ihm dadurch seine Würde. Und wie erschafft der biblische Gott? Im Unterschied zu den antiken Göttern arbeitet er — und zwar als Handwerker. Er formt den Menschen aus Erde wie ein Töpfer, er pflanzt ihm einen Garten wie ein Gärtner, er formt die Frau aus der Rippe wie ein ... sehr begabter Handwerker.
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Handwerksarbeiten mögen im griechischen Sinn minderwertig sein — nach der Bibel heissen sie Gott nachahmen! Doch auch zur geistigen Arbeit sind wir berufen: Etwas zu benennen und zu verwalten gehört anscheinend genauso dazu, wie etwas zu formen. Die Schweizer haben das verstanden, wenn sie ihre Arbeit „Schaffe“ nennen. Ob bewusst oder unbewusst, diese Wortwahl entspricht dem göttlichen Ruf für die Arbeit: „Mensch, du gestaltest gemeinsam mit mir und du schaffst das mit mir!“
Corona als Lautsprecher
Gott hat die Erde mit seiner Schöpfung nicht für sich selber erschaffen, sondern für seine Schöpfung. Wenn wir arbeiten, gestalten wir nicht nur — wir dienen. Nehmen wir als Beispiel den Stuhl, auf dem du täglich sitzt: Ein Mensch hat für dich die Rohstoffe beschafft, ein zweiter für dich die Masse geplant, ein dritter hat für dich die Materialien bearbeitet und ein vierter sie für dich zusammengesetzt. Ein fünfter hat dich von diesem Stuhl überzeugt und ein letzter ihn zu dir transportiert. Jeder Mensch dient anderen Menschen mit seiner schöpferischen oder verwaltenden Arbeit. Er nimmt damit den Ruf Gottes ernst, der selber seiner Schöpfung täglich dient:
Du lässt Quellen sprudeln und als Bäche in die Täler fließen, zwischen den Bergen finden sie ihren Weg. Die Tiere der Steppe trinken davon, Wildesel stillen ihren Durst. An ihren Ufern nisten die Vögel, in dichtem Laub singen sie ihre Lieder. Vom Himmel lässt du Regen auf die Berge niedergehen, die Erde versorgst du und schenkst reiche Frucht. Du lässt Gras wachsen für das Vieh und Pflanzen, die der Mensch anbauen und ernten kann. So hat er Wein, der ihn erfreut, Öl, das seinen Körper pflegt, und Brot, das ihn stärkt. Psalm 104, 10-15
Mehr noch: Mit unserer Arbeit tun wir das Werk des Herrn. Wenn wir den Menschen dienen, machen wir das stellvertretend für Gott. Unserer Arbeit diese Würde zuzuschreiben, ist ein Schatz, den wir neu entdecken dürfen. So viele Dienste, die im Alltag einfach so von sich gehen, nehmen wir gar nicht mehr wahr. Das Coronoavirus hingegen erinnert uns wie ein Lautsprecher neu daran, dass wir einander dienen und voneinander abhängen. Viele Dienste fehlen derzeit und die Wichtigkeit anderer wird uns jetzt erst recht bewusst. Andererseits erkennen wir, dass Arbeit, als Gestalten und Verwalten, ein menschliches Bedürfnis ist.
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Wieder staunen lernen
Schließlich betrachtete Gott alles, was er geschaffen hatte, und es war sehr gut! Es wurde Abend und wieder Morgen: Der sechste Tag war vergangen. So waren nun Himmel und Erde erschaffen mit allem, was dazugehört. Am siebten Tag hatte Gott sein Werk vollendet und ruhte von seiner Arbeit. Darum segnete er den siebten Tag und sagte: »Dies ist ein ganz besonderer, heiliger Tag! Er gehört mir.« 1. Mose 1,31 – 2,1-3
Sechs Tage lang sollt ihr eure Arbeit tun, aber am siebten Tag sollt ihr ruhen. 2. Mose 23,12
Die alten Griechen hätten diese Auffassung abgelehnt: Gottes Plan für den Menschen ist nicht la dolce far niente. An sechs von sieben Tagen soll der Mensch arbeiten und auch darin macht er es seinem Schöpfer gleich. Die Fünf-Tage-Woche ist eine moderne Forderung der Gewerkschaften, um gerechte Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Doch Arbeit geht über unsere Berufsausübung hinaus: Ein Kind erziehen, Beziehungen pflegen und sich fit halten sind ebenfalls gestaltend und verwaltend. Deshalb können wir auch in Zeiten von Corona unserer Berufung nachgehen.
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Dann wäre da noch der siebte Tag, der Ruhetag. Auch hier dürfen wir unseren Schöpfer nachahmen! Gott sieht sein Werk an. Er betrachtet es, bewertet es und freut sich über seine Schöpfung. Der Ruhetag ist die Zeit in Gottes Plan, in der wir das Gestalten und Verwalten unterbrechen, unser Werk bestaunen und Gott dafür danken dürfen. Arbeit und Ruhe gehen Hand in Hand: Beide offenbaren Gottes Wesen und sein Plan für uns Menschen. In Zeiten von Corona sind wir besonders herausgefordert, richtig zu ruhen und die Schönheit unserer Arbeit anzuerkennen. Auch wird die Mühsal der Arbeit bleiben, wie der Tod ein Fakt des menschlichen Lebens bleibt. Doch wenn wir unser Verhältnis zu Gott als seine schöpfenden Mitarbeiter neu entdecken, wird unsere Arbeit sich neu mit Sinn und Leben füllen.
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Für diesen Artikel inspiriert hat mich das Buch „Berufung. Eine neue Sicht auf unsere Arbeit“ von Timothey Keller und Katherine Leary Alsdorf.