Weihnachten und ich, das ist eine Hassliebe. Ich schwanke Jahr für Jahr zwischen Flucht in die Karibik und ekstatischer Zelebration. Doch dieses Jahr bin ich fest entschlossen, die Liebe zur Weihnachtsgeschichte über allem anderen triumphieren zu lassen.
Tim Keller schreibt in seinem Buch "Stille Nacht - Heilige Nacht":
Weihnachten ist das einzige christliche Fest, das gleichzeitig ein großer säkularer Feiertag ist – möglicherweise der wichtigste in unserer Kultur. Das Ergebnis sind zwei ganz unterschiedliche Feste, die von jeweils Millionen Menschen zur gleichen Zeit begangen werden, was auf beiden Seiten zu Irritationen führt.
Man muss ja heutzutage nicht mehr in die Kirche gehen, um Weihnachten zu feiern. Es gibt mittlerweile genügend andere Angebote, die man mit all seinen Sinnen kosten kann und dabei auf seine Kosten kommt. Und kosten tut es oft nicht wenig. Weihnachtszeit ist Geschäftszeit. Geschäftig wuseln Verkäufer und Käufer im Detailhandel umher. Es riecht nach Lebkuchen, Bienenwachskerzen und Maroni. Es klingt nach Jingle Bells und leise rieselndem Schnee. Alles wird auf Hochglanz poliert und möglichst "weihnachtlich" dekoriert. Ein wahres Erlebnis, in dieser Jahreszeit auf Einkaufstour zu gehen. Und gleichzeitig ein Albtraum, denn die halbe Welt scheint unterwegs zu sein.
Auch damals war die halbe Welt unterwegs. Aber nicht zum Shoppen, sondern um in ihre Heimatstadt zu gelangen. Denn es gab eine internationale Volkszählung. Und so musste Joseph mit seiner hochschwangeren Verlobten Maria von ihrem Wohnort Nazareth ins ca. 130km entfernte Bethlehem gehen. Zu Fuss. Da ist shoppen zur Weihnachtszeit ein Klacks dagegen. Doch der wahre Albtraum kam erst noch: Am Ziel angekommen, waren alle Hotels ausgebucht. Online vorreservieren? Fehlanzeige. Wir schreiben das Jahr Null. Das Jahr, in dem Jesus geboren wurde. Ja genau, der Jesus, nachdem sich unsere Zeitrechnung richtet. Der Arzt Lukas beschreibt dieses Ereignis mit folgenden Worten: Maria brachte ihr erstes Kind, einen Sohn, zur Welt, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Futterkrippe; denn sie hatten keinen Platz in der Unterkunft bekommen.
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Apropos Futterkrippe: Zu futtern gibts ja jeweils auch en masse in der Weihnachtszeit. Es beginnt mit Mandarinen, Erdnüssen und Schöggeli vom Samichlaus und mündet, ich kann es nicht anders sagen, in regelrechten "Fressorgien" von denen man sich über Tage nicht mehr erholt. Es wird gekocht und serviert unter dem Motto: "Wenn die Familie schon mal vollzählig anwesend ist, müssen wir das ausgiebig feiern!".
Festtage sind eben Gästetage. Das ruft nach kulinarischen Höheflügen, die Genuss und Geselligkeit in eine optimale Balance bringen. Wie z.B. das hierzulande weit verbreitete Fondue Chinoise. Oder ein Stuffed Turkey nach klassisch-englischer Tradition, mit Christmas Crackers auf dem Tisch und Christmas Pudding mit heisser Custard Cream zur Nachspeise. Und am Ende sind dann eben auch die Gäste "stuffed" (= gefüllt, ausgestopft, pappsatt, voll).
Es gibt Leute, die haben die Nase voll von Weihnachten. Ich gehöre auch dazu. Jedes Jahr dasselbe Theater. Dabei ist es doch offensichtlich: Einmal pro Jahr für ein paar Stunden den Weltfrieden heraufbeschwören, oder zumindest den Familienfrieden... das kann ja nur schiefgehen. Spannungen sind vorprogrammiert. Denn das Unterfangen, es einmal im Jahr allen in der Familie Recht machen zu wollen, ist ein utopisches. Das war es immer schon.
Ein Radiomoderator kommentierte dieses zum Scheitern verurteilte Vorhaben einst wie folgt (ich zitiere sinngemäss): "Wir haben zwei Varianten. Wir lassen die Bombe platzen und sagen uns an Weihnachten wieder mal so richtig die Meinung. Oder wir machen gute Miene zum Bösen Spiel und halten einfach die Luft an in der Hoffnung, dass es möglichst schnell vorbeigeht und wir das Weite suchen können." Er riet dann zur zweiten Variante, was ich als sozial verantwortungsbewusst erachte. Sozial verantwortungsbewusst sind auch alle, die an Weihnachten für andere da sind. Für die, welche keine Familie (mehr) haben, alleine sind oder sonst irgendwie ausgeschlossen vom gemeinschaftlichen Leben. An sie zu denken und sie wenigstens einmal im Jahr in unsere Gebete und Spenden einschliessen, das hat alles Platz in unserer Konsumgesellschaft.
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Auch damals gab es sie schon. Menschen, die am Rande der Gesellschaft lebten und nur dann etwas vom grossen Kuchen abkriegten, wenn es überflüssige Reste gab. Zu ihnen gehörte die Berufsgruppe der Hirten. Sie verbrachten Tag und Nacht mit den Tieren wohlhabender Herdenbesitzern auf dem Feld und hatten diese zu hüten, zu versorgen und bewachen. Sie waren vom alltäglichen Leben der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen und lebten am Rande der Gesellschaft. Sie gehörten zu den letzten, die Neuigkeiten erfuhren. Man vergass sie halt einfach, weil sie an so abgelegenen Orten arbeiteten.
Doch als Jesus geboren wurde, gehörten die Hirten von Bethlehem zu den Ersten, denen dies mitgeteilt wurde. Und WIE es ihnen mitgeteilt wurde: Direkt vom Himmel beleuchtet mit hellstem Licht, verkündet von prächtigsten Engelswesen und umrahmt von wunderbarstem Gesang! Äusserst furchteinflössend und gleichzeitig so umwerfend schön. Umwerfend schön dann auch der Moment, an dem die Hirten das Jesuskind und seine Eltern finden, ganz nach der Beschreibung des Engels. Da konnten sie nicht länger schweigen. Sie mussten allen von ihrer Begegnung mit den Engeln erzählen und was sie ihnen verkündet hatten. Hirten, die nicht schweigen können. Höchst aussergewöhnlich. Denn sie gehörten zu den wohl verschwiegensten Genossen ihrer Zeit. Maria aber merkte sich jedes Wort und dachte immer wieder darüber nach.
Auch ich kann nicht aufhören darüber nachzudenken, so zuwider mir Weihnachten auch immer wieder ist. Zuwider wegen den vielschichtigen Spannungen, die in der Luft liegen und die ich nur schwer auszuhalten vermag. Wie oft hab ich gedacht: "Hoffentlich geht es schnell vorbei." So oft hab ich mir gewünscht, besser damit umgehen zu können. Ich habs versucht. Einer meiner Versuche glich dem totalen Bildersturm wie zu Luthers Zeiten. In vermeidlich reformatorischer Gesinnung verkündete ich als Teenager, dass ich keinen Weihnachtsbaum mehr dulde und es höchste Zeit sei, alle weihnächtlichen Traditionen radikal zu beseitigen. Doch in die Tat umgesetzt fühlte sich das dann zu meinem Erstaunen ziemlich trostlos und unbefriedigend an.
Als ich während meiner Lehre zum Forstwart jeweils einen Tannenbaum vom Lehrbetrieb umsonst beziehen und auch selbst auslesen durfte, von da an gab es auch bei Hunzikers wieder einen Weihnachtsbaum. Und ich holte auch die verbannte Blockflöte wieder aus der Versenkung und spielte jedes Weihnachtslied, das mir in den Sinn kam.
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Und weil ich seit ein paar Jahren auch aus beruflichen Gründen gegen Jahresende jeweils etwas Passendes zu Weihnachten von mir geben sollte, musste ich mich neu mit dem Gedanken anfreunden, die Sache mit Weihnachten wirklich ernst zu nehmen. Anders gesagt: Ich musste meiner ambivalenten Beziehung zu Weihnachten eine Frischzellenkur verpassen. Ich begann als erstes mit der Reanimation von Weihnachtsliedern. Eigentlich habe ich sie schon immer gemocht, wegen ihren zauberhaften Melodien und Harmonien, die, auch wenn schon tausendmal gehört und gesungen, ihren Zauber immer wieder neu entfalten, wenn ich es ihnen denn gestatte.
Der "Stern vo Bethlehem" aus d'Zäller Wiehnacht gehört zu meinen Lieblingen. Ich schmelze innerlich dahin, wenn ich nur schon daran denke. Lieder wie dieses, vom grossartigen Schweizer Komponisten Paul Burkhard, erzählen und vermitteln das Einzigartige, Wundersame und Zauberhafte an der Weihnachtsgeschichte. Sie ist eben kein Märchen der Grimm-Brüder. Auch keine von Menschen erdachte Fantasy-Saga. Nein, die Weihnachtsgeschichte ist die Geschichte hinter allen Geschichten. Es ist die Geschichte von der Rettung der Welt. Es ist die Geschichte von der Befreiung aller Gefangenen und Heimkehr aller Verbannten. Es ist die Geschichte von Jesus, der als Licht in die Dunkelheit der Welt kam.
Tim Keller bringt es auf den Punkt, wenn er sagt:
Wer Weihnachten verstanden hat, der hat die Botschaft von Jesus Christus verstanden!
Ich will Weihnachten neu verstehen lernen. Nicht stehen bleiben bei dem was ich schon weiss. Nochmals neu und unvoreingenommen hinsehen. Mich neu verzaubern lassen. Weihnachten und ich - eine Hassliebe. Aber eine Hassliebe, von der ich mich neu inspirieren lassen will. Denn wenn da kein Hass in mir wäre, bräuchte ich auch keine Liebe, um diesen Hass zu überwinden und in warmherzige Hingabe an meine Mitmenschen umzuwandeln. Ich brauche Gottes Liebe. Ich brauche Erlösung. Ich brauche Weihnachten.