Loslassen ist eine Lebenskunst. Doch loszulassen, ohne sich an etwas anderem festzuhalten, ist der freie Fall. Was gibt sicheren Halt?
Die Kunst eines erfüllten Lebens ist die Kunst des Lassens: Zulassen - Weglassen - Loslassen. Ernst Ferstl
Das ist der Spruch im Wochenkalender der letzten Woche. Kunst ist ja so gar nicht mein Ding. Ausser bei der Musik sagt es mir nicht viel. Als ich über die verschiedenen momentanen Situationen in meinem Leben nachgedacht habe, wurde mir folgendes ganz bewusst, das ist quasi mein selbstformulierter persönlicher Wochenspruch:
God is in control, I'm hanging on in there.
Gott hat es unter Kontrolle, ich hänge mich da rein und halte durch.
Aus diesem Wochenspruch wird bestimmt ein Monatsspruch, denn vieles löst sich nicht über Nacht oder innerhalb von sieben Tagen. Gott fordert mich heraus, dran zu bleiben, ihm zu vertrauen und durchzuhalten. Nicht als Eigenleistung, sondern als vertrauensvolle Beziehung zu ihm, dem lieben Gott, dem Vater im Himmel.
Es ist gut zu wissen, dass Gott es unter Kontrolle hat! Wenn wir es genau nehmen, haben wir nichts im Griff. Wir meinen es zwar, weil wir planen, überlegen und entscheiden. Doch das gibt uns nur das Gefühl, es im Griff zu haben. Ein Gefühl, das ich mag, wenn ich ehrlich bin. Ich hab's gern im Griff, unter Kontrolle und treffe Entscheidungen, suche Lösungen und strebe Veränderung an.
Was ist mit den Situationen, bei denen die Entscheidung nicht bei mir liegt, ich keine Lösung habe und keine Veränderung bewirken kann? Diese Situationen belasten mich immer wieder und frustrieren mich gleichermassen. Mich frustet grad so einiges und dies würde ich gern "per Stossgebet" auflösen, per Knopfdruck verändern, damit "tata" alles gut ist!
Zulassen, weglassen, loslassen. Darin liegt die Kunst des Lebens? Ist dem so? Und woran halte ich mich denn fest? Denn wir alle braucht Halt! Wir halten uns an Menschen fest oder an Ideologien. Wir bauen auf unsere Leistung und wiegen uns in Sicherheit, wenn alles gemäss unserem Plan verläuft. Wir sparen Geld, fühlen uns dadurch reich und für die Zukunft gewappnet. Wie schnell raten wir anderen, es einfach loszulassen und nach vorne zu schauen. Doch nur wer sich an etwas anderem festhalten kann, kann wirklich loslassen. Loslassen ohne sich festzuhalten ist der freie Fall ins Bodenlose. Das mag für einige ein Adrenalinkick sein, doch die Landung wird hart und schmerzhaft. Zurück bleibt Leere.
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Immer wieder bin ich tief betroffen, wenn ich junge schwerkranke Menschen auf der Intensivstation pflege. Da stehen Fotos von ihnen mit ihren Familien auf dem Nachttisch und ich erkenne sie oft kaum wieder. Fotos als Momentaufnahmen von glücklichen Zeiten im Leben. Und plötzlich ist alles anders. Von einem Moment auf den andern, die Welt steht kurz still, so vieles wird unwichtig, alles dreht sich um Krankheit, Medikamente, Bangen und Hoffen auf Besserung. Ein Festhalten am Leben, nicht aufgeben, kämpfen und durchhalten. Da scheinen meine Situationen, die mich beschäftigen und eben auch frustrieren, Situationen, die ich nicht lösen kann, fast unbedeutend. Und doch sind sie das eben nicht oder nicht ganz.
Es ist immer wieder aufrüttelnd, wenn wir uns mit dramatischen Situationen vergleichen und es relativiert oft unsere eigene Situation. Aber es löscht sie nicht aus, es täuscht nicht darüber hinweg. Wir alle tragen Dinge mit uns herum, Situationen, Probleme, Herausforderungen. Wo ist da die Perspektive? Wo ist der Halt und wer hat die Lösung?
Es wäre zu einfach zu sagen, Gott ist die Lösung all deiner Probleme! Ein Gebet und voila, alles ist gelöst! Gott ist allmächtig, allwissend und er hält die Welt in seiner Hand. Ja, seine Hände müssen dafür gross sein! Zu wissen, dass er alles unter Kontrolle hat, ich auch in diesen grossen Händen getragen bin, das ist eine krasse Aussage! Glaube ich sie? Glaubst du sie?
Ich habe gelernt, sie zu glauben. Gelernt durch Umstände und schwierige Situationen der letzten 15 Jahre und der letzten 15 Monate im Speziellen. Ich musste lernen, mich an Gottes Hand festzuklammern. Für mich, meine Ehe, meine Kinder, für die Kirche und Menschen, die mir wichtig sind. Immer wieder ertappe ich mich dabei, wie ich Gottes Hand loszulassen beginne, sich meine Gedanken drehen und ich mich langsam aus diesem Halt löse. Wieso weiss ich auch nicht. Gewohnheit und die Täuschung, dass ich es eben doch selbst im Griff habe? Möglich.
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Ich gebe dem Spruch in meinem Kalender recht: Zulassen, weglassen und loslassen ist ein Schlüssel für ein erfülltes Leben. Schwierige Situationen zulassen zu können und darin zu wachsen, Unwichtiges wegzulassen und Falsches loszulassen. Uns gleichzeitig an Gottes mächtiger Hand festhalten, durchhalten und ihm für mein Leben, meine Situationen und Umstände zu vertrauen. Er hat Lösungen und er handelt zur rechten Zeit, so sagt es die Bibel.
Woran hältst du dich fest?