Nach dem Gottesdienst beim Kaffee fragte mich jemand: "Wie geht es dir und wie bringst du eigentlich alles unter einen Hut?" Meine ehrliche Antwort: "Im Moment gar nicht." Denn ein Hut reicht nicht aus.
Da war ja kürzlich Muttertag: Mein Mann und ich gerieten wegen einer "Leiterschafts-Angelegenheit" aneinander - Sonntagmorgen ist definitiv der falsche Zeitpunkt, dies zu besprechen. Unsere Tochter war krank, mein Mann am krank Werden und unser ältester Sohn kämpfte mit Langeweile. Ein toller Muttertag, dachte ich mir! Doch das Mutter sein ist einer meiner Hüte und auch wenn an diesem besagten zweiten Sonntag im Mai alles voller Blumen, Herzen und Liebe war, ist die Realität im Alltag doch immer wieder eine andere. Die Bilder auf Instagram und in den Onlinemedien malten dieses perfekte Bild von tollen Familien, glücklichsten Müttern, Liebe, Herz und Heiterkeit. Das befremdete mich. Meine Gedanken wanderten immer wieder weg von meinem Muttersein zu all den Frauen, die gerne Mutter wären und denen es verwehrt blieb. Für sie gibt es keinen Tag, leider, und das ist nicht in Ordnung. Es ist eine harte und schmerzliche Realität und dies macht mich in aller Arbeit, allem Alltagstrott und kranken Kindern dankbar für dieses Geschenk, für diesen Hut, den ich tragen darf. Unlängst waren Frauen in den Medien, die sich bewusst gegen Kinder entschieden hatten. Sie fanden eine Sprache, Aufmerksamkeit. Die Frauen, die dies nicht wählen, sondern für die es eine ungewollte Realität ist, werden wenig oder gar nicht gehört.
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Letzten Samstag war ich statt am Frauentag am Elternforum von Procap in St.Gallen. Ich bin neu Teil dieses Elternforums, arbeite da mit. Ein Forum für Eltern mit behinderten und besonderen Kindern. Ich habe auch so ein Kind, ich bin betroffene Mutter, wie das genannt wird. Wie ich genannt werde, ich und viele andere, die anwesend waren. Auf dem Podium waren zwei Mütter und drei Väter, die aus ihrem Erleben und ihrem Alltag mit ihren behinderten Kindern erzählten. Beeindruckend. Herzlich. Hilfreich. Der Moderator bedankte sich für die Offenheit und lobte diese Familien, sie seien starke Familien! Eine Stimme fragte dann, wo denn die Familien mit Migrationshintergrund seien. Diese gäbe es, fügte diese Stimme aus dem Publikum an, er arbeite als Übersetzer am Kinderspital St.Gallen. Er sei selbst betroffener Vater und erzählte kurz von seinem Erleben mit den Migrationsfamilien. Diese Eltern waren am Forum nicht vertreten. Laut dem Übersetzer gehören diese Familien möglicherweise nicht zu den starken Familien. Sie ziehen sich zurück, vielleicht spielt Scham mit, den Zugang zu Hilfsorganisationen und Fachstellen finden sie oft weniger einfach. Das hat mich mehr beschäftigt als die starken Familien auf dem Podium. Auf den ersten Blick und die meiste Zeit gehören wir auch zu den starken Familien, doch immer wieder wird mir dieser Hut zu gross, zu schwer, zu erdrückend und die Stärke wackelt.
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Da ist dieser Hut, den ich gerne und oft mit mehr Leichtigkeit trage, das ist der, wenn ich auf der Intensivstation einspringe und am Patientenbett arbeite, ein bis zwei Tage in der Woche. Ich kann die Patientensituationen auswählen, ich muss mich weder um Schüler noch um viel Organisatiorisches kümmern, trage "nur" die Verantwortung für meine Patienten. Ich werde oft herzlich empfangen, meine Kolleginnen und Kollegen bedanken sich, dass ich einspringe. Da sind fixe Abläufe, ich stemple ein, stemple am Ende der Schicht wieder aus und lass diesen Hut bis zum nächsten Dienst im Spint zurück. Vielleicht ist er darum so leicht, weil ich ihn anziehen und wieder ablegen kann und ich ihn nicht dauernd mit mir rumtragen muss. Das ist ein Privileg. Ein guter Ausgleich.
Im Wochenkalender war letzte Woche folgender Spruch:
Herr, schenke mir neue Kraft, wie du es versprochen hast! Ps 119.107
Leider habe ich diesen Vers erst diese Woche bewusst gelesen. Letzte Woche hätte ich diese Kraft sehr nötig gehabt! Es standen herausfordernde Meetings in der Gemeinde auf dem Programm, dieser Hut der Pastorenfrau, der Gemeindeleitung an der Seite meines Mannes. Mein Mann war krank, da wurde der Hut dann schnell gross und ich fühlte mich plötzlich einsam darunter. Rückblickend kann ich in allen Herausforderungen sagen, dass Gott mir Kraft geschenkt hat. Er verspricht, dass er uns alles gibt, was wir brauchen, dass seine Last leicht ist und er uns hilft, diese zu tragen. Seine Kraft wirkt auch, wenn ich mich gut fühle, alles rund läuft und ich keine spürbaren Herausforderungen habe.
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So bringe ich nicht immer alles unter einen Hut. Ich entscheide mich immer wieder, den Hut zu tragen, den Gott für mich bereit hält. Und das ist nicht nur ein Hut. Gott gibt mir nicht nur einen Platz, eine Verantwortung, er gibt mir auch seine Kraft. Er hält seine Versprechen, wenn ich mich nach dieser Kraft ausstrecke. Ich darf dann auch ehrlich antworten, dass ich es nicht packe, es grad nicht auf die Reihe kriege. Dann kann mich seine Kraft befähigen, durchtragen und meine Stärke sein. Seine Kraft ist immer da, egal welchen Hut ich trage und wie es mir dabei geht. Das ermutigt mich und macht mich dankbar!