Kürzlich wäre ich nach dem ersten Satz der Predigt am liebsten nach Hause gegangen. Doch dann geschah etwas Überraschendes.
"Das Böse."
Als Josua Hunziker seine Predigt mit diesem Ausdruck begann, stellten sich mir innerlich die Nackenhaare auf. "Das Böse?", dachte ich, "darüber will ich jetzt aber wirklich nichts hören." Denn ich fühlte mich nicht gut an dem Morgen. Ich fühlte mich niedergeschlagen und ausgelaugt. Viel lieber hätte ich eine Predigt zum Thema "Gott liebt alle Menschen" gehört.
Mit einigem innerem Widerstand folgte ich den Ausführungen von Josua Hunziker. Er sagte, dass das Böse nicht immer so einfach zu definieren oder zu erkennen sei und veranschaulichte diese Tatsache anhand eines Glases mit Wasser. So lange das Glas mit Wasser alleine da stand, dachte niemand daran, dass der Inhalt ungesund sein könnte. Doch als er eine Flasche mit Gift daneben stellte, änderte sich dies schlagartig. Niemand würde einen Schluck aus einem mit durchsichtigem Inhalt gefüllten Glas trinken, das neben einer Giftflasche steht!
Doch äusserlich unterscheiden sich die beiden Flüssigkeiten nicht. Die eine Flüssigkeit ist lebensspendend, die andere tödlich - dieser Unterschied ist von höchster Relevanz.
Stell dir vor, du bist in einem Raum eingesperrt. Du weisst, du musst eine Woche darin ausharren. Du hast zu essen und du hast etwa 50 Gläser, die gefüllt sind mit Wasser - oder eben Gift. Das weisst du nicht so genau - beide Flüssigkeiten sehen gleich aus und sind für Menschen geschmacklich nicht zu unterscheiden. Irgendwann hast du Durst und nimmst ein Glas. Glück gehabt - es war Wasser. Das nächste Glas - nach einer halben Stunde beginnt dein Magen zu rumoren. Das war Gift! Nicht sofort tödlich, aber zu viel davon wird dein Körper nicht vertragen. Und so geht es weiter: Du weisst nie genau, ob das, was du gerade zu dir nimmst, lebensspendend oder hochgefährlich ist. Eine grausame Vorstellung! Wie viel würdest du jetzt dafür geben, wenn du jemanden hättest, der dir sagen würde, welche Gläser mit Gift und welche mit Wasser gefüllt sind!
An diesem Punkt der Predigt geriet ich ins Grübeln. Denn der Vergleich fühlte sich so an, wie wenn er mein Leben der letzten Woche wiederspiegeln würde. Es hatte Tage gegeben, an denen ich mich gut gefühlt hatte. An anderen Tagen hatte ich mich schlecht gefühlt, regelrecht vergiftet. Ich musste auch nicht lange nachdenken, um herauszufinden, was mir nicht gut getan hatte: Es war mein gescheiterter Versuch gewesen, meinem Umfeld alles recht zu machen.
So schnell der Gedanke gekommen war, so schnell versuchte ich, ihn wieder abzuschütteln. Was sollte denn schon so schlimm daran sein, wenn ich versuchte, es den Menschen in meinem Umfeld recht zu machen? Ihnen zu gefallen? Ihre Bedürfnisse zu erkennen und darauf einzugehen? Das tönte doch gut! Nett! Freundlich! Was sollte schon giftig oder gar böse sein daran?
Doch die Tatsache, dass es mir eben nicht gut ging an diesem Sonntagmorgen, sprach für sich. Ich realisierte, dass dieses Verhalten - ob ich es nun wahrhaben wollte oder nicht - mich vergiftet hatte.
Mir wurde klar, dass ich es selbst nicht schaffte, zu beurteilen, was gut war für mich. Es war doch alles nur gut gemeint. Niemals hätte ich gedacht, dass genau diese Eigenschaft, auf die ich manchmal sogar stolz war, mich vergiften könnte. Ich musste eingestehen, dass ich selbst nicht zwischen Gut und Böse unterscheiden konnte.
In der Bibel gibt Gott uns eine Erklärung dafür, warum es dem Menschen so schwerfällt, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Josua Hunziker hat diese Erklärung in seinem kürzlich publizierten Artikel zusammengefasst. Weiter schreibt er:
Ich möchte an dieser Stelle eine einfache, aber nützliche Definition des Bösen wagen: Wenn Gott gut ist, wenn er uns geschaffen hat und uns liebt, dann ist das Böse ganz einfach das, was dem Fluss von Gottes Güte im Weg steht. Wenn wir davon ausgehen, dass Gott die Quelle des Guten ist, dass Er seine Güte den Menschen zugänglich machen will, dann ist das Böse all das, was verhindert, dass Gottes Güte den Menschen widerfahren kann.
Genau das habe ich erlebt. Mein Versuch, es allen Menschen um mich herum recht zu machen und ihnen zu gefallen, stand Gottes Güte im Weg. Denn er hat uns nicht dafür geschaffen, den anderen Menschen zu gefallen. Er weiss, dass uns das kaputt macht und zerreisst. Er hat uns dafür geschaffen, Ihm zu gefallen.
Woher kann ich nun in Zukunft wissen, was in einer Situation gut ist? Wie kann ich in Zukunft solche giftigen Gläser vermeiden?
Nun - warum fragen wir nicht einfach Gott selber? Gott schuf den Menschen zur Gemeinschaft mit ihm, nicht zur Unabhängigkeit von ihm. Der Mensch ist designt für die Abhängigkeit und die innige Beziehung zum Schöpfer. Darum fehlt uns das Sensorium zur Entscheidung: es war uns schlicht nie zugedacht, Gut und Böse selbst unterscheiden zu müssen. Wir sind geschaffen, Gott zu vertrauen, mit Ihm in Beziehung zu leben. Das ist der Kern unseres Designs, die tiefste Bedeutung unseres menschlichen Daseins. Die Beziehung zu Gott kann den Fluch unserer Autonomie aufheben - wir dürfen aufhören, selbst zu beurteilen, und Ihm die Beurteilung wieder überlassen. So viel Überwindung uns dieser Schritt in die Abhängigkeit kosten mag, so befreiend wird er sich auf unser Leben auswirken!
Das Geheimnis liegt also darin, in dieser innigen Beziehung zum Schöpfer zu leben. Ihm zuzugestehen und gleichzeitig zu vertrauen, dass Er es besser weiss als ich.
Ich stellte fest, dass mich diese Erkenntnis irgendwie schmerzte. Es fühlte sich gleichzeitig bitter und befreiend an. Bitter, weil ich eingestehen musste, dass ich es selbst nicht schaffte. Befreiend, weil ich darin einen Ausweg aus meinem inneren Zerriss sah.
Gott möchte gerne das Gift in unserem Leben aufdecken, weil er ein guter Gott ist. Weil er weiss, dass es tödlich ist. Dieser gute Gott möchte mir lebensspendendes Wasser zu trinken geben. Darum weist er mich darauf hin.
Ich traf eine Entscheidung an diesem Morgen: Ich entschied mich, Gott neu zum Mittelpunkt meines Lebens zu machen und ihm zu vertrauen. Denn woran sollte ich in Zukunft meine Gefühle und Gedanken ausrichten? Nicht mehr länger daran, ob ich mich von anderen geliebt fühlte. Nein, ich wollte meine Gefühle und Gedanken an dem ausrichten, was Gott über mir sagt.
Er sagt, dass er mich bedingungslos liebt. Dass seine Gnade jeden Morgen neu ist, und dass ich sie in Anspruch nehmen darf. Dass mich nichts von seiner Liebe trennen kann. Auch nicht meine eigene Unzulänglichkeit. Das bedrückende Gefühl in meinem Herzen wich langsam einem tiefen Gefühl von Geborgenheit.