Mein Leben besteht daraus, Dinge gleichzeitig zu tun. Manchmal versuche ich, Superwoman zu sein. Doch fühle ich mich auch wertvoll, wenn ich es schaffe? Nicht unbedingt.
Ich muss es ehrlich zugeben. Die meiste Zeit meines Lebens verbringe ich damit, Dinge gleichzeitig zu tun. Das heisst, ich versuche es.
Ich versuche, noch schnell eine Nachricht auf meinem iPhone zu beantworten, während ich mein müdes Baby, das noch nicht schlafen kann, durch die Wohnung trage.
Ich versuche, ein gesundes Mittagessen zu kochen und gleichzeitig das Ausmass der Überschwemmung, die mein Dreijähriger anrichtet, in Grenzen zu halten.
Ich versuche, mit meinem kranken Baby in der Trage die Wohnung zu putzen.
Ja, ich versuche, alles unter einen Hut zu bringen. Familie, Freunde, Beruf, Haushalt. Kindergespräche, Kinderlachen, tiefgründige Gespräche, mein Herz ausschütten. Gespräche, die sich nur um Kinder drehen, Gespräche, die sich endlich einmal nicht um Kinder drehen. Ich versuche, gleichzeitig Freundin zu sein, Ehefrau, Familienfrau, Pflegefachfrau. Ich versuche, Frau zu sein.
Am Frauentag der FCTchurch zum Thema "Frauenbilder - Bilderbuchfrauen" trug Sara Schneiter ihren selbstgeschriebenen Poetry Slam vor. Hier abgedruckt die ersten Zeilen:
Frau sein, ganz Frau sein, aber auch mich selbst sein
das möcht ich so gern, doch was bedeutet es, eine Frau zu sein?
Wer kann‘s mir sagen, wer hat eine Antwort auf meine Fragen?
Der Untertitel des Frauentages lautete "An den Herd oder auf den Chefsessel?". Die beiden Moderatorinnen Joanna Hunziker-Merk und Martina Caviezel stellten sich diese Fragen gegenseitig. Die eine von ihnen bevorzugte den Herd, die andere den Chefsessel.
"Was möchte ich denn?", fragte ich mich. Über die Antwort musste ich nicht lange nachdenken. Ich möchte beides! Aber nicht nur das - ich möchte es am liebsten gleichzeitig und zweimal hundertprozentig! Da ist dieser tiefe Wunsch in mir drin, ganz für meine Kinder da zu sein. Doch gleichzeitig zieht es mich hinaus, fort vom schmutzigen Boden und dem Stapel Wäsche, hinaus in diese Welt. Mit Entdeckersinn, mit Neugier, mit Abenteuergeist.
Da ist die ewige Zerrissenheit, die schmerzt.
Lee Büchi sprach in ihrem Referat über diese Zerrissenheit. Sie thematisierte das Leistungsdenken unserer Gesellschaft:
Die Leistungsgesellschaft stellt Anforderungen an uns Frauen und ans Frausein. Es heisst mitmachen - mitleisten. Wir Frauen müssen Status haben und alles können, sprich verfügbar sein. Wir müssen uns zeigen können, erfolgreich sein und Geld verdienen. Viel Geld, um eine Superwoman zu sein, die alles miteinander vereinen kann: Familie und Job und dabei hat sie auch noch schön zu sein.
Ich befinde mich stark in diesem Spagat zwischen Familie und ausserfamiliären Tätigkeiten. Als Teil des Organisationskomitees vom Frauentag versuchte ich, alles gleichzeitig zu machen: Ich hatte mehrere Auftritte, stillte zwischendurch mein Baby, sauste mit der Kamera rum und versuchte noch mit einigen Freundinnen zu plaudern.
Ich könnte mich voll auf mein Baby konzentrieren, mich von allem anderen abgrenzen, und es wäre mein gutes Recht. Doch ich möchte das gar nicht. Ich bin gerne Teil von etwas Grösserem, arbeite mit Leidenschaft im Team und bringe mich ein, wo ich kann. Genau das bringt mich in diesen unangenehmen Konflikt. Immer wieder spüre ich, wie ich in Gefahr bin, das eine gegen das andere auszuspielen. Mich unter Druck setzen zu lassen von gesellschaftlichen Normen, Rollenbildern, Ansprüchen.
Der Spagat nagt an meinem Selbstwertgefühl. Ich fühle mich als Rabenmutter, wenn ich schon wieder arbeiten gehe und den Haushalt meinem Mann überlasse. Bei der Arbeit spüre ich die fehlende Routine und bin nicht mehr so selbstbewusst wie früher, als ich noch hochprozentig gearbeitet habe.
Wer gibt mir Wert?
Wer gibt mir Anerkennung für alles, was ich leiste?
Wer sagt mir, dass mein Bestes gut genug ist?
Wer sieht mich als Person, unabhängig von meiner Leistung und meinem Einsatz als Mutter oder Berufstätige?
Hier nochmals einige Zeilen aus Sara Schneiters Poetry Slam:
Die Antwort werden wir niemals finden,
solange wir uns nur mit unseren eigenen Gedanken verbinden.
Wir müssen ausserhalb von uns selbst suchen...
"So schuf Gott den Menschen als sein Abbild, ja, als Gottes Ebenbild;
und er schuf sie als Mann und Frau."
Simone Widler war die zweite Referentin am Frauentag. Eine Geschichte aus ihrem Referat hat mich tief berührt.
Ein hoch angesehener jüdischer Geistlicher (Pharisäer) hatte Jesus zum Essen eingeladen. In derselben Stadt lebte eine Frau, die für ihren unmoralischen Lebenswandel bekannt war. Als sie erfuhr, wo Jesus war, nahm sie ein Gefäss voll teuren Öls und ging dorthin. Sie kniete vor Jesus nieder und weinte. Ihre Tränen fielen auf seine Füsse, und sie trocknete sie mit ihren Haaren.
Was diese Frau tat, war absolut unerhört. In der orientalischen Gesellschaft der damaligen Zeit bis in die Gegenwart war und ist eine Frau verpflichtet, in der Öffentlichkeit ihr Haar zu bedecken. Wenn eine Frau ihren Schleier in der Öffentlichkeit ablegte und ihr Haar entblösste, dann durfte sich ihr Mann von ihr scheiden lassen, ohne anschliessend für ihren Unterhalt sorgen zu müssen. Das bedeutete für diese Frau soviel wie den kompletten finanziellen Ruin bis ans Ende des Lebens. Denn es gab keine Sozialversicherung und keine Möglichkeit für Frauen, zu arbeiten und selbst ihren Unterhalt zu verdienen, geschweige denn die Chance auf eine erneute Heirat.
Doch das schien diese Frau nicht zu kümmern. Sie scherte sich kein bisschen um die Ansprüche der Gesellschaft.
Für die jüdischen Geistlichen war es offensichtlich eine Beleidigung Gottes, wenn eine Frau ihr Haar in der Öffentlichkeit entblösste, denn das Haar einer Frau wurde als sexuell aufreizend betrachtet. Wieso löst die Frau ihr Haar und trocknet damit die Füsse von Jesus? Sie hatte ein langes Kleid an und hätte beim Knien die überschüssigen Falten des Kleides benutzen können, um die Füsse abzutrocknen.
In der traditionellen Gesellschaft des Nahen Ostens löst eine Braut in der Hochzeitsnacht ihr Haar und erlaubt ihrem Mann zum ersten Mal, es zu sehen. Niemandem im Raum konnte der Unterton dieser Geste entgangen sein. Indem sie ihr Haar löste, leistete sie Jesus eine Art äussersten Treueeid.
Die Geistlichen hatten von Jesus erwartet, dass ihn das zutiefst schockieren würde und es ihm äusserst peinlich war. Er hätte ihre Tat entschieden zurückweisen müssen und sich von ihr distanzieren. Doch was tat Jesus?
Er lobte die Frau und wies den Gastgeber zurecht!
Jesus wandte sich der Frau zu und sagte zu Simon, dem Gastgeber: "Schau dir die Frau an, die da kniet. Als ich dein Haus betrat, hast du mir kein Wasser angeboten, um mir den Staub von den Füßen zu waschen; sie hat meine Füße mit ihren Tränen gewaschen und mit ihrem Haar getrocknet. Du hast mir keinen Begrüßungskuss gegeben; sie hat mir unaufhörlich die Füße geküsst, seit ich hereingekommen bin. Du hast es versäumt, mir Gastfreundschaft zu erweisen und mir den Kopf mit Olivenöl zu salben; sie hat meine Füße mit kostbarem Salböl gesalbt. Ich sage dir, ihre Sünden - und es sind viele - sind ihr vergeben; darum hat sie mir viel Liebe erwiesen.
Jesus war es in keiner Weise peinlich, was diese Frau getan hatte. Er wies sie nicht zurück, obwohl sie sich gemäss dem kulturellen Kontext total daneben verhalten hatte. Er wertete ihre Stellung damit stark auf. Er wertete aber auch die Stellung derjenigen Frauen auf, die sich ganz korrekt in ihrer traditionellen Rolle bewegten. Jesus gab jeder Frau, die ihm begegnete, Wert, Würde und Mut. Jeder Frau, unabhängig von ihrem sozialen Status, ihrem Stand in der Gesellschaft. Unabhängig von ihrer Leistung und Weltanschauung. Doch nicht nur das! Er brüskierte auch den Gastgeber, der herablassend über Jesus und die Frau gedacht hatte. Und das alles in der Gegenwart vieler Zeugen, die das bestimmt später weitererzählten.
Das war nur eine von vielen Geschichten aus der Bibel, die Simone Widler in ihr Referat eingebaut hatte. Sie zeigte auf eindrückliche Art und Weise auf, wie viel Wert Gott uns Frauen beimisst.
Jesus sagte von sich, dass wir durch ihn seinen Vater, Gott selbst, erkennen. Wenn er also den Frauen diesen hohen Wert beimisst, so erkennen wir darin Gottes Wesen. Der Frauentag hat mir klar aufgezeigt, worin ich meinen Wert gesucht habe, und wo er tatsächlich liegt:
Ich habe meinen Wert in meinem Spagat gesucht - je mehr ich unter einen Hut bringe, desto besser. Doch wie gut ich diesen Spagat hinkriege, sagt nichts über meinen Wert aus.
Ich habe meinen Wert in meinen Fähigkeiten als Mutter gesucht - je leidenschaftlicher ich mich um meine Kinder kümmere, desto besser fühle ich mich. Doch auch das sagt nichts über meinen wahren Wert aus. Und mein Wert liegt auch nicht in meinen Fähigkeiten im Berufsumfeld.
Mein Wert liegt alleine darin, dass Gott mich liebt und annimmt.
Das gibt mir Sicherheit: Ich bin nicht wertlos, wenn ich versage.
Das gibt mir Freiheit: Ich werde nicht abgelehnt, wenn ich mich unangepasst verhalte.
Das gibt mir Freude: Ich kann mein Bestes geben und weiss, dass es genügt.
Sara Schneiter schloss ihren Poetry Slam folgendermassen:
Gott, du hast mich erschaffen, ja, erfunden als Frau.
Darum komm ich zu dir mit meinen Fragen.
Ich bin sicher, du kannst mir sagen,
was es heute bedeutet eine Frau zu sein.
Meine geliebte Tochter, es bedeutet in erster Linie, geliebt zu sein,
angenommen ohne künstlichen Schein,
ich finde dich wunderschön – warum zweifelst du noch?
Es bedeutet, bei mir total sicher und aufgehoben zu sein,
du darfst sanft und verletzlich sein, hab keine Angst davor.
Es bedeutet, andere zu lieben und zu achten, zu geben,
viel zu tragen im Leben.
Es bedeutet auch Schmerzen zu erleiden und überschwängliche Freude zu erleben.
Es bedeutet Ergänzung zum Mann zu sein, denn er kann es nicht allein.
Es bedeutet so vieles, doch damit du es erleben und andere inspirieren kannst:
Sag Ja zu dir selbst ohne Vorbehalt,
sag ja zu deiner Persönlichkeit, deinem Körper, deinem Geschlecht.
Sei ganz Frau - ohne Angst etwas zu verpassen, unterdrückt oder gar ausgenutzt zu werden.
Du bist von mir erschaffen, in meinem Ebenbild!
Es ist sehr gut, dass du bist, wie du bist – auch, dass du Frau bist.