/ Weihnachten

Friede auf Erden?

Emanuel Hunziker Emanuel Hunziker

Warum geschieht nach wie vor so viel Böses auf der Erde, wenn die Engel an Weihnachten doch nichts weniger als den Weltfrieden proklamierten?

Auf einmal waren die Hirten von unzähligen Engeln umgeben, die Gott lobten: »Ehre sei Gott im Himmel! Denn er bringt der Welt Frieden und wendet sich den Menschen in Liebe zu.«

Die Frage nach dem Frieden ist eine alte. Sie beinhaltet auch die Frage: Warum gibt es Leid? Gibt es so etwas wie "das Böse"? Wenn ja, wie definiert es sich und wie können wir es überwinden? Es geht auch um die Frage: Was ist ein gutes Leben und wie funktioniert respektvolles Zusammenleben? Oder: Wie funktioniert eigentlich Menschsein?

Die Selbstoptimierungs-Gurus predigen uns "Positives Denken". Das bedeutet im Gegenzug dann v.a. auch alle negativen Gedanken und Emotionen loszuwerden. Laut einer Vielzahl von Büchern auf dem Markt ist positives Denken lernbar. Positiv über sich selbst denken. Positiv über andere denken. Empathie entwickeln und leben. Die Chancen sehen. Die Möglichkeiten betonen. Sinnlose Gedanken und Emotionen wie Neid und Gier entlarven und entkräften. Sich auf das Wesentliche konzentrieren. Und das wäre? Ja genau: Liebe!

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Photo by Tyler Nix / Unsplash

Doch ist es wirklich so einfach? Führen positive Gedanken automatisch zu Liebe? Führt die Abwesenheit negativer Gedanken automatisch zu Empathie und Zuneigung? Die Engel in der Weihnachtsgeschichte koppeln ihre Friedens-Prophezeiung an die liebevollen Hinwendung von Gott zu uns Menschen. Frieden entfaltet sich also dann, wenn eine Person aktiv wird und sich liebevoll einer anderen Person zuwendet. Oder anders gesagt: Barmherzige Liebe weigert sich, Leid und Zerstörung als endgültigen Zustand zu akzeptieren und überwindet die Auswirkungen böser Machenschaften mit Gutem.

Wer bedingungslos liebt, ist bereit jedes Hindernis zu überwinden und wenn nötig durch die Hölle zu gehen. Wer sehnsüchtig liebt, durchschaut jede Fassade auf der Suche nach dem Menschen dahinter. Wer wahrhaftig liebt, gibt sich nicht mit Etikett und Schein zufrieden, sondern sucht nach dem wahren Inhalt und Sein. Der Friede, den die Engel verkünden, ist demnach kein meditativer Zustand, den man ganz alleine für sich erleben kann. Gottes Frieden erfüllt und durchströmt das menschliche Herz nur dann dauerhaft, wenn der Mensch dem Gott des Friedens sein Herz öffnet. Mit den Worten Tim Kellers gesagt:

Der Friede Gottes ist nicht die Abwesenheit negativer Gedanken, sondern die Gegenwart von Gott selbst.

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Photo by Derek Thomson / Unsplash

An Weihnachten feiern wir das grösste Wunder aller Zeiten: Immanuel - »Gott ist mit uns«. Anders gesagt: Gott wird Mensch! Gott bleibt nicht unsichtbar. Er wurde »einer von uns«, ein Mensch von Fleisch und Blut. So wichtig und zentral der Tod und die Auferstehung von Jesus für den christlichen Glauben auch sind, wir dürfen sein Kommen nicht auf sein stellvertretendes Sterben reduzieren. Denn wenn sein öffentliches Wirken wirklich so unbedeutend wäre, hätten die vier Evangelien nicht so viel darüber berichtet. So hilfreich und kompakt das apostolische Glaubensbekenntnis auch ist, der öffentliche Dienst von Jesus wird darin leider nicht erwähnt. Es heisst:

Ich glaube... an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn, empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel...

Zwischen dem "geboren" und "gelitten" ist aber sehr viel Entscheidendes passiert. Man geht davon aus, dass zur Zeit als Jesus öffentlich auftrat, 30% der Bevölkerung in Israel unter dem Existenzminimum lebten. Das waren die Armen der Armen. Jesus begegnete besonders diesen Ärmsten, Randständigen und Unterprivilegierten, aber auch allen anderen von der Gesellschaft ausgeschlossenen Menschen mit viel Empathie und Mitgefühl und verband die Botschaft vom Reich Gottes mit den teils äusserst schwierigen Lebensumständen seiner Zuhörer.


Photo by Nick Fewings / Unsplash

Jesus nahm von Herzen Anteil am Leben seiner Mitmenschen. Insbesondere denen gegenüber, die aus der Gesellschaft ausgeschlossen wurden, weil sie die "falsche" Rasse, das "falsche" Geschlecht, den "falschen" Beruf, den "falschen" sozialen Status, die "falsche" Nationalität, den "falschen" Gesundheitszustand oder das "falsche" Alter hatten. Jesus begegnete ihnen auf Augenhöhe und solidarisierte sich mit ihnen. Seine Liebe, Annahme, Vergebung und Wertschätzung richtete sie innerlich auf. Sie entdeckten ihren unermesslichen Wert in Gottes Augen und schöpften neue Hoffnung. Sie waren gerne in seiner Nähe. Seine Gegenwart hatte lebensverändernde Substanz.

Es war Liebe in Aktion, die gängige Feindbilder durchbrach und damit viele vor den Kopf stiess, besonders die religiöse Führungselite. Feindbilder dienen dazu, uns selbst als die Guten zu verstehen, während die "Feinde" zu den "Bösen", "Unreinen" oder "Unwürdigen" gehören.

Feindbilder und Verschwörungstheorien können eine Art der Lebensbewältigung sein. Denn: «Wenn ich Feindbilder klar bezeichnen kann, brauche ich mich nicht mit mir selbst zu beschäftigen», sagt der erfahrene Seelsorger, Coach und Berater Ernst Gassmann. «Ich muss dann den 'Feind' nicht mehr in mir selbst suchen, denn er ist ausserhalb von mir.» Jesus zeige uns aber: Der eigentliche Feind sitzt in mir.

Jesus machte mit seinem Lebensstil und seiner Botschaft unmissverständlich klar, wo der Ursprung der Finsternis dieser Welt liegt: Nicht bei einzelnen sozialen Schichten, Ethnien, Rassen, Religionen, Altersgruppen oder einem Geschlecht, sondern »von innen, aus dem Herzen des Menschen, kommen Gedanken, die böse sind«.

Weihnachten ist die unsentimentalste Sichtweise auf das Leben die es gibt. Weihnachten sagt uns eben gerade NICHT: »Kopf hoch! Wenn wir alle zusammenstehen und positiv denken, können wir die Welt zu einem besseren Ort machen.« Die Bibel fordert uns zwar unmissverständlich zum Wiederstand gegen das Böse auf, aber macht gleichzeitig klar und deutlich, dass wir die Finsternis alleine niemals besiegen können. Die Botschaft der Christenheit lautet: »Die Dinge stehen sehr schlecht und wir können uns weder selbst heilen noch selbst retten. Es sieht wirklich düster aus. Nichtsdestotrotz, es gibt Hoffnung« (Tim Keller)

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Photo by Zoltan Tasi / Unsplash

Das Volk, das in der Finsternis lebt, sieht ein großes Licht; hell strahlt es auf über denen, die ohne Hoffnung sind. Denn uns ist ein Kind geboren! Ein Sohn ist uns geschenkt! Er wird seine Herrschaft weit ausdehnen und dauerhaften Frieden bringen.

Jesus wurde vor 2000 Jahre geboren. Von dauerhaftem Frieden auf Erden kann aber keine Rede sein. Wo liegt das Problem? Entpuppt sich das Ganze als reine Utopie? Oder fehlt noch etwas? Weihnachten weist uns darauf hin, dass wir mehr brauchen als Erkenntnis und guten Willen. Wir brauchen jemanden, der von aussen kommt und unser finsteres Herz dauerhaft erleuchtet und erwärmt. Der Schöpfer des Universums neigt sich uns Menschen liebevoll zu und lädt uns ein, an seinem Tisch zu sitzen, mit ihm zu essen und eine freundschaftliche Beziehung zu ihm aufzubauen. Tim Keller formuliert es so:

Am Tisch von Jesus sitzen Huren und Könige, Männer und Frauen, Juden und Heiden, Weiße und Schwarze, Anständige und Missetäter einträchtig nebeneinander – alle gleich sündig und verloren und alle gleich angenommen und geliebt.

Bei Jesus ist es nicht so, dass die Guten hineindürfen und die Bösen draußen bleiben müssen, sondern jeder, der „drinnen“ ist, hat dies allein der Gnade Gottes zu verdanken. Vor Gott bestehen kann ich allein durch das, was Jesus für mich getan hat.

Seine Heiligkeit und Güte werden nicht beschmutzt, wenn er Kontakt zu uns hat, sondern anders herum: Wer zu ihm kommt, wird von seiner Heiligkeit angesteckt. Egal wer ich bin und was ich getan habe, egal wie viele hässliche Flecken auf meiner moralischen Weste sind, Jesus kann mich so rein machen wie frisch gefallener Schnee. (Jesaja 1,18)

Wir können die Botschaft von Weihnachten nicht verstehen, wenn wir nicht bereit sind, zuzugeben, dass wir uns nicht selber retten können. Auf dieser fundamentalen Wahrheit basiert alles andere, was uns Weihnachten zu sagen hat.

Wir können dauerhaften Frieden erleben, indem wir die ausgestreckte Hand Gottes erfassen und uns von seinem Sohn Jesus erlösen lassen. Wenn sein göttliches Licht und Wärme unser Herz erhellt, weicht jede Finsternis und Kälte. Dauerhaften Frieden erleben wir allein in der Beziehung zum Friedefürst selbst. Er bewirkt übernatürlichen Frieden in unserem Herzen. Und wer den Gott des Friedens in sich trägt, hat nicht nur die Quelle des Friedens in sich, sondern wird zu einem Friedensstifter für seine Mitmenschen.


Photo by Toa Heftiba / Unsplash

Zum Schluss noch eine kleine Geschichte (Autor unbekannt):

"Gibt es das Böse?" Mit jener Frage stellte der Universitätsprofessor seinen Studenten eine Herausforderung. "Hat Gott alles erschaffen, was es gibt?" Mutig erwiderte ein Student: „Ja, das hat er!” „Gott hat alles erschaffen?“ fragte der Professor. „Jawohl mein Herr“, erwiderte der Student. Der Professor antwortete: „Wenn Gott alles erschaffen hat, dann hat Gott das Böse erschaffen, da es das Böse gibt. Und dem Grundsatz zufolge, dass unsere Werke bestimmen wer wir sind, ist Gott böse“.

Der Student verstummte nach einer derartigen Antwort. Der Professor war ganz zufrieden mit sich und rühmte sich gegenüber den Studenten, dass er nochmals bewiesen hatte, dass der christliche Glaube eine Göttersage war.

Ein weiterer Student hob seine Hand und sagte: „Darf ich Ihnen eine Frage stellen, Professor?” „Selbstverständlich”, erwiderte der Professor. Der Student stand auf und fragte: „Professor, gibt es die Kälte?“ „Was für eine Frage ist das? Natürlich gibt es sie. Ist dir etwa noch nie kalt gewesen?” Die Studenten kicherten über die Frage des jungen Mannes.

Der junge Mann entgegnete: „Tatsache ist mein Herr, die Kälte gibt es nicht. Gemäß den Gesetzen der Physik ist, was wir für die Kälte halten in Wirklichkeit die Abwesenheit von Wärme. Jeder Körper oder Gegenstand lässt eine Untersuchung zu, wenn er Energie besitzt oder überträgt. Wärme ist, was einen Körper oder Stoff Energie besitzen oder übertragen lässt. Der absolute Nullpunkt (-273,15 Grad Celsius) ist die totale Abwesenheit von Wärme; alles Stoffliche wird unter jener Temperatur reglos und reaktionsunfähig. Die Kälte gibt es also nicht. Wir haben dieses Wort lediglich erfunden, um zu beschreiben, wie wir uns ohne Wärme fühlen.”

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Photo by Spencer Backman / Unsplash

Der Student setzte fort. „Professor, gibt es die Finsternis?” Der Professor erwiderte: „Natürlich gibt es sie.“ Darauf entgegnete der Student: „Wieder liegen Sie falsch mein Herr, die Finsternis gibt es ebenso wenig. Finsternis ist in Wirklichkeit die Abwesenheit von Licht. Licht können wir erforschen, Finsternis aber nicht. Überhaupt kann man Newton's Prisma dazu verwenden weißes Licht in viele Farben zu brechen und die verschiedenen Wellenlängen jeder Farbe untersuchen. Doch Finsternis kann man nicht messen. Ein einfacher Lichtstrahl kann in eine Welt der Finsternis eindringen und sie durchleuchten. Wie kann man feststellen, wie dunkel ein bestimmter Raum ist? Man misst die Menge des vorhandenen Lichts. Nicht wahr? Finsternis ist ein Begriff, der vom Menschen benutzt wird, um den Zustand ohne Licht zu beschreiben.“

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Photo by Elti Meshau / Unsplash

Letztendlich fragte der junge Mann den Professor: „Mein Herr, gibt es das Böse?" Derweil schon unsicher, erwiderte der Professor: „Natürlich, wie ich bereits sagte. Wir sehen es doch jeden Tag. Es wird deutlich an den täglichen Beispielen der Unmenschlichkeit. Es wird deutlich an der Vielzahl der Verbrechen und Gewalttaten überall in der Welt. Jene Vorkommnisse sind nichts als boshaft.“

Dazu entgegnete der Student: „Das Böse gibt es nicht mein Herr, zumindest besteht es nicht bei sich selbst. Das Böse ist schier die Abwesenheit Gottes. Es ist genau wie die Finsternis und Kälte, Worte von Menschen gemacht, um die Abwesenheit Gottes zu beschreiben. Gott hat das Böse nicht erschaffen. Das Böse ist nicht wie der Glaube oder die Liebe, welche es gibt, genau wie das Licht und die Wärme. Das Böse ist das Ergebnis dessen, was geschieht, wenn sich Gottes Liebe nicht im Herzen befindet. Es ist wie die Kälte, die kommt, wenn keine Wärme da ist oder die Finsternis, die kommt, wenn kein Licht da ist."

Friede auf Erden?
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