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Was Leidenschaft und Leiden miteinander zu tun haben

Ursi Gasser Ursi Gasser

Leidenschaft ist mehr als Gefühle. Es gehören Entscheidungen dazu, und die können unangenehm sein.

Wir leben aneinander vorbei, mein Mann und ich. Schon eine ganze Weile. Ich wollte es nicht wahrhaben, aber an jenem Morgen stand ich auf und fragte mich, wo die Liebe und Leidenschaft im Alltag geblieben war.
Vor drei Monaten war unser zweites Kind zur Welt gekommen. Das Wochenbett hatte ich viel entspannter erlebt, als ich mir erhofft hatte, und der Alltag hatte sich bald eingestellt. Doch dies bedeutete auch, dass sich unsere Gespräche hauptsächlich um die Konsistenz des Windelinhalts oder die Anzahl Stunden Schlaf drehten. Mich beschlich ein dumpfes Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung war. Wo war die Liebe geblieben? Wo die Leidenschaft füreinander?

Während stundenlangem Stillen grübelte ich stundenlang und die Unzufriedenheit über unsere Beziehung wurde immer grösser. Bis ich mich entschloss, das Buch zu öffnen, das schon lange unberührt auf dem Couchtisch vor mir lag.

Die Ehe ist vieles, aber eines nicht - sentimentale Romantik. Ehe ist wunderbar, aber harte Arbeit. Ehe ist glühende Freude und Kraft, bedeutet aber auch Blut, Schweiss und Tränen, demütigende Niederlagen und anstrengende Siege.

Diese Worte aus dem ersten Kapitel des Buches "Ehe" von Timothy und Kathy Keller berührten mich. Ein paar Seiten später stiess ich auf folgende Aussage:

Früher erwartete man von Ehe und Familie Liebe, Geborgenheit und Sicherheit, aber für den Sinn des Lebens, die Zukunftshoffnung, den moralischen Kompass und die Selbstidentität waren Gott und das Leben nach dem Tod zuständig. Doch in unserer heutigen Kultur haben wir gelernt, dass man sich auf Gott und das Jenseits nicht verlassen kann. Die so entstandene Lücke musste etwas füllen, und oft ist dieses Etwas die romantische Liebe. Wir erwarten von Sex und Liebe das, was wir früher von Gott erwarteten.

ehe
Es fühlte sich so an, wie wenn ich mit einem Schlag aus meiner grübelnden Unzufriedenheit erwacht wäre. "Was erwarte ich denn von unserer Ehe?", fragte ich mich plötzlich. Was erwartete ich von mir selbst, und was von unserer Beziehung? Was erwartete ich drei Monaten nach der Geburt unseres Kindes mit anstrengenden Nächten und einem voll gefüllten Alltag? Wie erwartete ich denn, dass sich diese Liebe und Leidenschaft in unserer Ehe zeigen sollte?

Timothy Keller beschreibt im ersten Kapitel seines Buches treffend, wie überhöht die Erwartungen unserer Gesellschaft an Beziehungen und an Sex geworden sind. "Wenn die Leidenschaft und Liebe nicht mehr da sind, ist es an der Zeit, sich einen neuen Lebenspartner zu suchen." Solche Aussagen klingen in meinen Ohren nach. Sollte ich mir vielleicht jetzt, kurz nach der Geburt unseres zweiten Kindes, einen neuen Lebenspartner suchen? Weil ich keine Liebe und keine Leidenschaft mehr verspürte?

Die grösste Liebe beweist der, der sein Leben für seine Freunde hingibt.

Dieses Zitat stammt aus der Bibel. Mein Mann erwähnte es vergangenen Sonntag im Gottesdienst, als er - ironischerweise - über Leidenschaft sprach. Seine Worte trafen mich direkt ins Herz:

Ich kenne niemanden, der leidenschaftlicher geliebt hat als Jesus. Er hat es sich etwas kosten lassen, um dir zu beweisen, wie sehr er dich liebt. Er opferte sein Leben und starb am Kreuz, um dadurch deine Freiheit und Erlösung zu bewirken.

Die Leidenschaft von Jesus bedeutete, dass er Leiden auf sich nahm, weil seine Liebe grösser war.
Leidenschaft beinhalte zwei Apsekte, fuhr mein Mann fort, einerseits den Aspekt der Entscheidung und andererseits den Aspekt der Emotionen. Jesus liebt mich und er liebt dich, das ist der Aspekt der Emotionen. Doch er hat eine radikale und krasse Entscheidung getroffen, als er für dich und mich ans Kreuz ging.

photo of brown wooden cross at cliff
Photo by Hugues de BUYER-MIMEURE / Unsplash

Bist du jemand, der wie Jesus leidenschaftlich liebt? Mit anderen Worten, kostet dich deine Liebe etwas?

Diese Frage aus der Predigt brachte mich erneut ins Grübeln. Doch dieses mal rief das Grübeln keine Unzufriedenheit hervor, im Gegenteil.
Plötzlich sah ich, wie viel Liebe und Leidenschaft darin verborgen war, sein Leben für andere hinzugeben. Dass auch die verstandesmässige Entscheidung, in unangenehmen Situationen für andere da zu sein, ein Ausdruck grosser Leidenschaft war.
Ich realisierte, womit ich die Worte Liebe und Leidenschaft gefüllt hatte. Ich hatte romantische Gefühle erwartet, die ich nicht produzieren konnte.
Doch was mich am meisten überraschte, war zu realisieren, wie genau diese Gefühle plötzlich zurückkamen. Ich hatte die Entscheidung getroffen, auch in unangenehmen Zeiten für meine Kinder und meinen Mann da zu sein, und sofort erfüllte Dankbarkeit mein Herz. Denn ich sah, was ich nicht mehr gesehen hatte: Wie mein Mann mich voller Leidenschaft im Alltag unterstützte, indem er das Baby in den Schlaf wiegte, volle Windeln wechselte und für mich da war, wo immer er konnte.
person carrying baby while reading book

Photo by Picsea / Unsplash

Zu sehen und zu erleben, wieviel Liebe und Leidenschaft auch im Leiden verborgen ist, gibt mir die Kraft, eine unangenehme Zeit durchzustehen. Im Wissen, dass wieder andere Zeiten kommen werden.

Aber was mein Herz am meisten erfüllt, ist die Dankbarkeit gegenüber Jesus. Er hat uns vorgelebt, wie Leidenschaft für andere Menschen durch Leid hindurchträgt und dadurch den grossartigen Sieg der bedinungslosen Liebe erringt.

Denn Gott hat der Welt seine Liebe dadurch gezeigt, dass er seinen einzigen Sohn für sie hergab, damit jeder, der an ihn glaubt, das ewige Leben hat und nicht verloren geht.

Ursi Gasser

Ursi Gasser

Frau, Ehefrau, Familienfrau, Pflegefachfrau mit Weiterbildung auf Intensivpflege, freischaffende Journalistin

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